
Eingefleischt: Wie unsere Sprache den Fleischkonsum fördert
«Als Folge der Pandemie erreichten Fleischprodukte im Jahr 2020 einen neuen Umsatzrekord von über fünf Milliarden Franken», vermeldete das schweizerische Bundesamt für Landwirtschaft Ende Februar.
Dass so viel Fleisch verzehrt wird, hat jedoch nicht nur mit Covid-19 und günstigen Fleischpreisen zu tun. «Der Fleischkonsum ist tief in unserer Sprache verankert – und manche Ausdrücke und Wendungen fördern das Fleischessen oder verdecken die Probleme um den Fleischkonsum»: Zu diesem Schluss kommt eine neue Untersuchung am CDE.
Heute werden in der Schweiz und in Deutschland rund 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für Futtermittel für Rinder, Schweine und andere Nutztiere verwendet. Hinzu kommen die Futtermittel-Importe – meist aus nicht-europäischen Staaten. Mit seinem Landanspruch, aber auch durch den Ausstoss von Methan und Lachgas, trägt der Fleischkonsum in der westlichen Ernährungsweise wesentlich zur Schädigung des Weltklimas bei. Auch Böden, Biodiversität und Wasserressourcen leiden unter der intensiven Tierhaltung.
Trotz dieses Wissens ist keine echte Trendumkehr in Sicht: «Mehr als jeder sechste Franken wird für Fleischprodukte ausgegeben, so viel wie für keine andere Produktgruppe», heisst es im neusten Marktbericht Fleisch des Bundesamts für Landwirtschaft . 2020 hätten die Fleischumsätze im Schweizer Detailhandel ein Allzeithoch erreicht.
Ausgaben für Lebensmittell im Schweizer Detailhandel 2020 . Quelle: Bundesamt für Landwirtschaft, Fachbereich Marktanalysen; Nielsen Schweiz; Bundesamt für Statistik.
Wenn alles andere zur «Beilage» wird
In Zeiten vor Corona war der Fleischkonsum zwar leicht zurückgegangen und die sogenannten Beilagen erfuhren eine kulinarische Aufwertung.
Aber: «Der Ausdruck ‘Beilage’ hat die entscheidende Trennung zwischen Fleisch und anderen Nahrungsmitteln eingeführt», analysiert Hugo Caviola, assoziierter Wissenschaftler am CDE. Damit entstehe eine Hierarchie auf dem Teller: «In der Mitte liegt das Fleisch, das für das hauptsächliche Geschmackserlebnis zuständig ist, am Rand ist alles andere.»
Vom Tier über die Metzgerei bis zum Fleisch auf dem Teller
Und da liegt dann auch gleich der Hase im Pfeffer: «Wir sind uns gewohnt, Fleisch zu essen – nicht Tiere. Damit lösen wir das Fleischessen vom Tier ab und weisen es dem positiv besetzten Bereich der Kulinarik zu», erläutert Hugo Caviola. Die Tierliebe hört also am Tellerrand auf.
Das zeigt eine kleine Auswahl an fleischigen Metaphern, die der Wissenschaftler und sein Team untersucht haben – grob nach den Stationen geordnet, die das Fleisch auf seinem Weg vom lebenden Tier über die Metzgerei bis zum Steak auf dem Teller durchläuft:
- Das Büro ist ein wahrer Schweinestall.
- Die gegnerische Partei hat die Affäre für ihre eigenen Zwecke ausgeschlachtet und aus dem Mann Hackfleisch gemacht.
- Mit ihren Versprechungen haben sie den bisherigen Eigentümern den Speck durch den Mund gezogen, waren tatsächlich aber nur an den Filetstücken des Unternehmens interessiert.
- Er verhandelt nach der Salamitaktik.
- Die Wohlhabenden liessen sich im Speckgürtel der Stadt nieder. Trotzdem stiegen dort die Steuern allmählich. Als die Reichen den Braten rochen, zogen viele wieder weg.
Rohes Kaninchenfleisch in Marinade.
Fleisch als Bezugsgrösse
Die Metaphern müssen aber gar nicht positiv sein. Auch negative Sprachbilder wie die Wurstfinger, das Grillen und Ausbluten, der Schweinestall bis hin zu den speckigen Haaren zeugen von der herausragenden Stellung des Fleisches als Denk- und Gefühlsmassstab. «Wer sich mit Fleischbildern verständigt, nutzt und bestärkt hintergründig die Geltung des Fleisches als Bezugsgrösse. Selbst Fleisch zu essen, ist dazu gar nicht nötig», bilanziert Hugo Caviola.
Denn: «Fleischhaltige Redewendungen und Metaphern besiedeln unsere Alltagssprache und sind damit Teil unseres Denkens und Fühlens.» Beispiele dafür sind: Wir lassen Menschen in ihrem eigenen Saft schmoren oder stellen fest, dass eine Prüfungskandidatin gegrillt wurde. Sind wir uns uneinig, rupfen wir zusammen ein Hühnchen. Und wenn es wirklich drauf ankommt, geht es um die Wurst.
Metaphern eröffnen Deutungsrahmen
Wo immer der Fleischbezug der Metaphern gedanklich lebendig ist, sei dies bei der Wurst, beim Schinken oder beim Braten, zeugen die ‘fleischigen’ Redewendungen und Metaphern von der Normalität des Fleischverzehrs und der Nutztierhaltung. Sie sind sprachliche Speicher einer vergangenen Ernährungskultur, verweisen aber auch auf heute. Wer einen Satz sagt wie: Jetzt geht es um die Wurst, gibt indirekt zu verstehen: Würste haben einen hohen Wert.
Die Wirkung von Metaphern ist nicht zu unterschätzen. Bei jedem Gebrauch einer Fleisch-Metapher eröffnet sich in unserem Denken ein sog. Frame, ein Deutungsrahmen, der auf eine ‘normale’ gesellschaftliche Praxis verweist. Diese umfasst eingespielte Gewohnheiten, Traditionen, Gesetze und Rezeptbücher ebenso wie Zuchtbetriebe, Fütterungsanlagen, Schlachthöfe und reicht bis zum Festessen, Fleischmesser und Gartengrill.
Tiere werden implizit oft zur Ware
Zwar haben neue Begriffe wie Tierwohl oder Tierleid Einzug in unseren Wortschatz gehalten und rufen uns Menschen in Erinnerung, dass Tiere empfindsame Wesen sein können. Doch mindestens so geläufig sind Bezeichnungen wie Nutztier, Masthuhn oder Fleischproduktion. Sie reduzieren Tiere auf einen Zweck oder Nutzen für den Menschen.
«Die Produktionsmetapher anerkennt das Leben der Tiere nicht als natürlichen Wachstums- und Entwicklungsprozess, sondern deutet diesen in einen industriellen Herstellungsprozess um, bei dem die Tiere implizit zur Ware werden», unterstreicht Hugo Caviola.
Das Fachvokabular der Massentierhaltung
Als «Besuch im sprachlichen Gruselkabinett» bezeichnet er das Fachvokabular der Massentierhaltung. Aus Begriffen wie Ferkelerzeugung, Wurfgrössen, Erdrückungsverluste, Fleischleistung oder Bemuskelung, die beispielsweise in der Schweineproduktion Verwendung finden, spreche ein Geist von technischer Raffinesse, wirtschaftlichem Kalkül und verwaltungstechnischem Eifer.
«Gelingt es nicht, diesen Deutungsrahmen der Produktion zu durchbrechen und durch Aspekte von Tiergerechtigkeit, Tierwohl oder Umweltkosten zu korrigieren, werden Tiere am Ende zu ‘Fleischmaschinen’ degradiert.»
Sprachliche Alternativen
Doch welche Alternativen in unserem Sprachgebrauch bieten sich an? «Wer eine ökologische und tierfreundliche Haltung von Tieren anstrebt, ist herausgefordert, Begriffe zu wählen, die seinen bzw. ihren Absichten besser entsprechen», meint der Wissenschaftler. So beleuchte zum Beispiel das Wort Fleischgewinnung die Tiere positiv als etwas Wertvolles, als einen «Gewinn».
Auf leisen Sohlen zu neuer Wirklichkeit
Auch die Fleischmetaphern lassen sich laut Hugo Caviola umgehen. «Statt ‘etwas vom Braten abbekommen’ könnte man auch sagen ‘etwas vom Kuchen abbekommen’.» Wenn einem etwas Wurst ist, liesse sich das ersetzen durch egal, so lang wie breit, etc.
Dazu kommen neue Begriffe wie Veggie Burger und pflanzenbasiertes Gehacktes oder neue Rezepte, die Blumenkohl-Steak und Tofu-Auberginen-Gulasch heissen: «Gelingt es ihnen, sich durch ihren Gebrauch durchzusetzen, können sie quasi auf leisen Sohlen einen gesellschaftlichen Wandel anstossen, der neue Wirklichkeiten schafft.»
Veggie Burger
Das Projekt
Der «Sprachkompass Ernährung» ist eine Orientierungshilfe die aufzeigt, wie Sprache unsere Wahrnehmung von Ernährung prägt und unser Denken und Handeln anleitet – und welche sprachlichen Ausdrucksformen einen massvollen (suffizienten) Umgang mit Ernährung behindern bzw. welche ihn fördern können. Das Projekt basiert auf dem Konzept der Suffizienz, einem Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität, das andere Werte als Konsum in den Vordergrund rückt. Es wird von der Stiftung Mercator Schweiz unterstützt.