
Weg der Vielfalt
Der «Weg der Vielfalt» in St.Gallen zeigt Orte, die von Vielfalt erzählen und zum Nachdenken über unsere Gegenwart anregen.
Die Stadt St.Gallen blickt auf eine über tausendjährige Vergangenheit zurück, wobei die erhaltene Bausubstanz – von wenigen Ausnahmen abgesehen – aus der Zeit nach dem letzten grossen Stadtbrand von 1418 stammt. Viele Bauwerke, die für das heutige Stadtbild wichtig sind und zum baukulturellen und kunstgeschichtlichen Erbe gehören, zeugen von den sozialen Machtverhältnissen und vom jeweils zeittypischen Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit dem ihr Fremden. Es soll die Aufgabe des «Wegs der Vielfalt» sein, nicht nur aus heutiger Sicht problematische Darstellungen oder Orte mit einer belasteten Vergangenheit zu erkennen und den geschichtlichen Bezug herzustellen, sondern auch Geschichten von Widerstand, Solidarität und Gemeinsinn zu erzählen.
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Alle Orte
Frauen, Sexismus
In St.Gallen mussten die Frauen wie in der übrigen Schweiz um ihre Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben kämpfen. Doch diejenigen Frauen, die sich für die Gleichberechtigung einsetzten, liessen sich nicht beirren. Sie machten ihren Einfluss im Gesundheitswesen, in der Rechtsprechung, in der Politik oder in der Kunst geltend und wurden zu Vorbildern für nachrückende Generationen. Die Geschichten in dieser Kategorie zeigen allerdings auch, mit welchen gesellschaftlichen und persönlichen Schwierigkeiten diese Frauen in einem männlich geprägten Umfeld zu kämpfen hatten, wenn es um die Umsetzung ihrer Anliegen und Wünsche ging.
Queer, Homophobie
Gleichgeschlechtliche Liebe war bis weit ins 20. Jahrhundert ein Tabu und wurde von der Justiz hart bestraft. Betroffene wurden ausgegrenzt und diskriminiert. Doch schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts traten erste mutige Menschen auf und schrieben gegen die Homophobie an. Sie forderten Straflosigkeit und gleiche Rechte. Einer dieser Vorkämpfer lebte in St.Gallen. In der Stadt gibt es Orte, die an Verfolgungen und an Opfer erinnern. Und es gibt Häuser, in denen sich Betroffene gegenseitig unterstützten.
Kolonial, Rassismus
Die Stadt (wie die übrige Schweiz auch) war vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart Teil des kolonialen Systems und profitierte davon. St.Galler Kaufleute handelten mit Gütern aus transatlantischen Kolonien oder besassen Plantagen. St.Galler Reisende und Wissenschafter beteiligten sich an der Schaffung und Etablierung des Kolonialrassismus. St.Galler Gastwirte veranstalteten Völkerschauen. St.Galler Bauherren liessen problematische Weltbilder in Stein meisseln. Aber auch das gibt es: Orte, die an Widerstand gegen diese Praktiken und Theorien erinnern, an Einsatz für Menschenrechte und Menschlichkeit.
Jüdisch, Antisemitismus
St.Gallen hat eine reiche jüdische Geschichte, die von wichtigen Beiträgen zum kulturellen und wirtschaftlichen Leben erzählt. Die Orte dieser Kategorie stehen jedoch auch für mörderischen Antisemitismus und für die Diskriminierung jüdischer Menschen, vom Pogrom des 14. Jahrhunderts im Kontext der Pestzüge über einen antisemitischen Krawall von 1883 bis zu den Verfolgungen durch die Nazis im 20. Jahrhundert. Zu den Fluchtgeschichten gehören zum Glück aber auch Geschichten von Hilfe und Solidarität.
Arbeit, Soziales, Armut
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung «die soziale Frage». Die handwerklich-agrarisch organisierte Gesellschaft verwandelte sich in eine solche, in der verschiedene Gruppen und Klassen ihre Interessen durchzusetzen versuchten. Die hier ausgewählten Orte erinnern an Treffpunkte der Arbeiterbewegung, an Fabriken, an Streiks und an genossenschaftliche Projekte zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter.
Migration, Asyl, Flucht
Die Stadt St.Gallen hat seit der Gründung des Klosters im 8. Jahrhundert eine lange Geschichte der Zu- und Abwanderung. Ab dem 19. Jahrhundert profitierte die florierende Wirtschaft von einer starken Arbeitsmigration – und tut es bis heute. Die Stadt wurde internationaler und kulturell vielfältiger. Gleichzeitig entstanden Überfremdungsängste, worauf die Politik zum einen mit Einschränkungen, zum anderen aber auch mit Integrationsbemühungen reagierte. Der «Weg der Vielfalt» zeigt Erinnerungsorte von Menschen, die als Arbeiterinnen und Arbeiter oder als schutzsuchende Flüchtlinge zu uns gekommen sind sowie den Umgang der Stadt mit der wachsenden gesellschaftlichen Vielfalt.
Nazis, Fronten, Weltkriege
Die Schweiz konnte sich 1939–1945 aus dem Zweiten Weltkrieg heraushalten, aber von Dreilinden aus sahen St.Gallerinnen und St.Galler die Brände nach den Bombardierungen vom nahen Friedrichshafen. In dieser Kategorie finden sich Orte in der Stadt, die mit den hiesigen Anhängern der NS-Ideologie zu tun haben, Orte mit jüdischen und anderen Fluchtgeschichten ebenso wie mit Orten, die von Widerstand gegen Unmenschlichkeit und von der Solidarität mit den Opfern zeugen.
Behinderung, Ableismus
Menschen, die langfristige körperliche, seelische oder geistige Beeinträchtigungen haben, treffen im Alltag auf Vorurteile und Diskriminierung. Diese können nicht nur durch Abwertung oder gar Verachtung zum Ausdruck kommen, sondern auch durch unwillkommen wohlwollende Haltungen. Ableismus bedeutet die Abwertung eines beeinträchtigten / behinderten Menschen, indem von dessen Anderssein direkt auf die geistigen oder körperlichen Fähigkeiten geschlossen wird, ohne sich mit dieser Person auseinandergesetzt zu haben. Diese Kategorie umfasst im «Weg der Vielfalt» erst wenige Orte, weil unsere Gesellschaft spät begonnen hat, sich systematisch mit dem Umgang mit Behinderungen und mit Massnahmen zur Inklusion auseinanderzusetzen. Für Hinweise sind wir deshalb dankbar.