Blockgletscherkinematik am Muragl Blockgletscher

Untersuchungen am Muragl im Rahmen einer Bachelorarbeit um Aussagen über die Bewegungsdynamik des Blockgletschers treffen zu können.

1

Muragl Blockgletscher

Sicht von Nordwesten her durch das Val Muragl.

Abstract

To determine the influence of climate warming on permafrost, creep velocities of rock glaciers are a reliable measure. As block glaciers increase creep velocities with rising permafrost temperatures, the kinematics indirectly reflect the thermal conditions of a block glacier. In this study, the kinematic and morphological characteristics of Muragl Block Glacier were investigated using drone images from 2015 and 2022, and correlations to changing ground surface and air temperatures over the same period were examined. Data collection was performed using drone images and terrestrial surveying. The collected data sets from the different methods were compared and tested for similar patterns in the rock glacier kinematics. The suitability of the applied methods for such kind of investigations was determined by comparing the different results and recognizable patterns as well as their plausibility in comparison with other investigations at Muragl Blockgletscher. The collected data sets were evaluated, visualized and optimally prepared for the comparison with the help of specific software. The results of the drone surveys and the terrestrial measurements showed the same patterns observed with previous investigations. In the central part of the block glacier and on the northern outburst floodplain the velocities were higher than on the rest of the block glacier tongue. Locally, creep velocities of up to 13.81m in seven years were calculated and the mass movements in the model of the flow behavior displayed local volume changes and displacements up to 4m. The velocities of the individual years showed correlations with the average temperature measured in Switzerland. The change of the creep velocity during the mild and snow-poor winter of 2019/2020 was particularly recognizable. Furthermore, the creep velocities at Muragl Blockgletscher are relatively high in comparison to the neighboring Murtel-Corvatsch Blockgletscher with velocities of up to 2m/a. This results highlight that the biggest mass movement were situated in the north central Part of the rock glacier and on the northern outburst, which corelates with previous studies. Additionally correlations between rising average temperatures in Switzerland and the creep velocity at the Muragl rock glacier were clearly recognizable. Based on the results of this study and the literature researched, possible future trends for the Muragl Block Glacier were made.


Einleitung

Permafrost ist ein in Hochgebirgen wie den Alpen weit verbreitetes Phänomen, welches zwischen dem 46° und 47° Breitengrad typischerweise in Gebieten mit einem kalten Mikroklima und einer Mindesthöhe von 2500 Metern über Meer vorkommt, welche nicht von mächtigen Gletschern bedeckt ist. Die Fläche des Permafrosts in der Schweiz wird auf ca. 5% der gesamten Landesfläche geschätzt. Das ist in den Alpen flächenmäßig rund dreimal so viel (~6 200 km²) wie die vergletscherten Gebiete (~2 000 km²) (Michael et al., 2018). Als Teil des Permafrosts, gelten Blockgletscher als Schlüssellandschaftsformen der Geomorphologie, insbesondere für das tiefere Verständnis von Permafrost-Bewegungen an periglazialen Berghängen (Delaloye et al., 2010). Dies macht Blockgletscher zu wichtigen Indikatoren für den Zustand des Permafrosts im Hochgebirge (Frauenfelder & Roer, 2007).

Im Allgemeinen wurde eine starke Beschleunigung der Kriechgeschwindigkeiten der Blockgletscher in den letzten zehn Jahre beobachtet, diese Tendenz wurde nur in Jahren mit schneearmen Wintern verlangsamt (Haberkorn et al., 2021). Weiter wird unter aktuellen Szenarien zur Klimaerwärmung angenommen, dass die Degradation des Permafrosts weiter fortschreiten wird. Dies dürfte zu einer weiteren Beschleunigung der Kriechgeschwindigkeit der Blockgletscher führen, aufgrund intensiverer Niederschläge während der Sommermonate (Haberkorn et al., 2021). Durch die Verschiebung der kryosphärischen Gefahrenzonen, ausgelöst durch die Klimaerwärmung und der resultierenden potenziellen Destabilisierung des Permafrostbodens, ist die Beurteilung und Bewertung von Gletscher- und Permafrostgefahren im Hochgebirge von grosser Wichtigkeit (Kääb et al., 2005).

Für diese Studie wurde der Muragl Blockgletscher im Oberengadin als Untersuchungsgebiet ausgewählt. Der Muragl Blockgletscher ist insbesondere interessant, weil er bereits gut untersucht ist und eine Handvoll Studien, mitunter auch mit photogrammetrischen Analysen, existieren. Weiter verfügt er über eine hohe Kriechgeschwindigkeit von ~ 0.5 bis 2m/Jahr, was ihn zu einem kinematisch sehr interessanten Studienobjekt macht. Auch stellt er durch seine Grösse eine signifikante Gefahr dar, was eine Untersuchung aus Perspektive der Naturgefahren lohnenswert macht (Musil, 2002).

Im Rahmen dieser Bachelorarbeit soll ein neuer drohnengestützter Datensatz am Muragl Blockgletscher aufgenommen werden. Die daraus resultierenden Orthofotos und Höhenmodelle sollen mit den schon bestehenden Daten aus dem Jahre 2015 verglichen werden, um die Kinematik und Oberflächendynamik untersuchen und entsprechende Veränderungen aufzeigen zu können. Weiter werden die Fernerkundungsdaten mit terrestrisch erhobenen Daten, welche jährlich aufgenommen wurden, verglichen. Damit können Aussagen über den momentanen Zustand des Muragl Blockgletschers getroffen werden.


Mit den gesammelten Daten sowie einer ausführlichen Literaturrecherche sollen in dieser Bachelorarbeit die hier aufgeführten Forschungsfragen thematisiert und beantwortet werden:

  • Wie gut eignen sich hochauflösende, drohnengestützte Fernerkundungsdaten um Blockgletscherkinematik erfassen und auswerten zu können?
  • Sind Korrelationen betreffend der Blockgletscher-Kinematik in den UAV-Daten und den terrestrisch erhobenen Daten zu erkennen?
  • Wie sind die aktuellen kinematischen und morphologischen Eigenschaften des Muragl Blockgletschers?
  • Welche Zusammenhänge bestehen zwischen der Kinematik des Muragl Blockgletschers und der Luft-/Bodentemperatur?
  • Was ist ein möglicher zukünftiger Trend für den Muragl Blockgletscher?

Grundlagen Blockgletscher

Permafrost, welcher als dauerhaft gefrorener Untergrund definiert wird, ist an der Oberfläche meist nicht sichtbar. Eine Ausnahme bilden aktive Blockgletscher, welche durch ihre Morphologie auf eine Übersättigung des Porenvolumens im Untergrund durch Eis hindeuten und daher oft zur Kartierung des Permafrostvorkommens verwendet werden (Staub, 2015). Blockgletscher sind weiter Schlüssellandformen der Geomorphologie und essenziell für das tiefere Verständnis von Permafrost-Bewegungen an periglazialen Berghängen (Delaloye et al., 2010).

Blockgletscher sind eine Form von Permafrost, welche aus Gesteinsblöcken, Eis, Wasser, und Luft zusammen gesetzt sind. Ihr Entstehungsgebiet liegt an mässig bis stark geneigten Gebirgshängen, wo eine ständige Versorgung mit neuem Schutt sichergestellt ist und durch die Gravitationskräfte eine langsame talwärts geleitete Massenbewegung stattfindet.

Aufbau eines Blockgletschers, gezeigt sind die wichtigsten Bestandteile

Methoden

Die Erhebung sowie Auswertung der Daten in dieser Studie erfolgte mittels mehrerer verschiedener Methoden. Die Luftbilder für die spätere Auswertung wurden mittels einem Drohnenflug erhoben. Für den Vergleich mit den Drohnendaten dienten Verschiebungsdaten, erhoben durch eine terrestrischen Methode (Tachymetrie). Die Prozessierung der Drohnendaten erfolgte anschliessend mit Pix4DMapper, wobei der Datensatz in eine für die weitere Auswertung verwendbare Form, verarbeitet wurde. Mittels Cloud Compare und Cias konnte aus diesen Datensätzen die Resultate Berechnet werden. Die Visualisierung der Ausgabe der Cias Resultate sowie der terrestrisch erhobenen Daten, erfolgte mit QGis. Für den Vergleich der Kinematik mit Temperaturdaten, wurden weiter Daten des Schweizer Permafrost Monitoring Netzwerkes (Permos) verwendet.

Am 25.08.2022 wurde mit einer Wingtra One Drohne ein Fotodatensatz des Muragl Blockgletscher erhoben. Dieser Datensatz diente dazu die Veränderungen seit dem letzten verfügbaren Datensatz vom 23.07.2015 aufzuzeigen. Im darauffolgenden Arbeitsschritt konnten die erhobenen Bilder der beiden UAV Untersuchungen (2015 & 2022) mit Hilfe der Software Pix4DMapper in mehreren Schritten nach dem Structure from Motion (SfM) Verfahren zu Raster basierten Orthomosaiken, 3D-Punktwolken und digitalen Höhenmodellen (DHM) zur weiteren Verarbeitung vorbereitet werden (Pix4D, 2021; Vivero et al., 2021),

Erstellung des Fliessbildmodels

Für die Eruierung der Volumenveränderung des Blockgletschers wurden die beiden Punktwolken der Jahre 2015 und 2022 mit der Gratissoftware Cloud Compare (Cloud Compare 2.12.Kyiv, 2022) verglichen. Wichtig dabei ist, dass die beiden Datensätze möglichst genau übereinander liegen. Dafür kam eine Coreferenzierung mit dem «align point pair picking» Werkzeug zum Einsatz. Hierbei werden äquivalente Punkte in beiden Datensätzen manuell in festem Terrain ausserhalb des Blockgletschers ausgewählt. Anschliessend werden diese Punkte durch das Programm automatisch ausgerichtet, was in der exakten Überlagerung der Datensätze resultiert. Für die Ausrichtung wurden zehn möglichst scharfe Kanten von grossen Steinblöcken im stabilen Gelände rund um den Blockgletscher ausgewählt. Anschliessend konnte ein Vergleich der beiden Punktwolken mit dem «Multiscale Model to Model Cloud Comparison (M3C2) Algorithmus» durchgeführt werden. Mit diesem Algorithmus kann in Cloud Compare ein direkter Vergleich von Punktwolken in 3D gemacht werden, wobei eine Abstandsmessung zwischen zwei Punktwolken ausgeführt wird (Lague et al., 2013). Durch die Analyse mit dem M3C2 Algorithmus wurde das Fliessbildmuster berechnet.

Erstellung der Fliessvektoren

Für die Berechnung der Oberflächenbewegung wurden im QGis die Orthofotos der beiden Jahre 2015 und 2022 coreferenziert und als Graustufenbilder in Cias implementiert. Eine weitere Coreferenzierung ist im Cias nicht nötig, da die Orthofotos bereits durch die Auswertung in QGis coreferenziert waren und sehr genau übereinander lagen. Diese Rasterdatensätze im Geo-Tiff Format wurden mittels der Software correlation image anaysis (Cias) verglichen, wobei die Software über die gesamte Ausdehnung des Muragl Blockgletschers automatisch Fliessvektoren errechnete.

Schema zur Messung von Oberflächenverschiebungen mittels Blockkorrelationstechniken. Ein Referenzblock im Datensatz 1 wird in einer Testfläche im Datensatz 2 gesucht. Die horizontale Verschiebung zwischen der Position des Referenzblocks und dem entsprechenden Testblock ergibt die Oberflächenverschiebung, welche als Vektor visualisiert wird (Vollmer, 2000).

Das Verfahren der Blockkorrelationstechniken, welches die Messung der einzelnen horizontalen Verschiebungsvektoren umfasst, erfolgt grundsätzlich in zwei Schritten, welche in der Abbildung rechts visualisiert sind. Als erstes wurde im Datensatz 1 (2015) ein Referenzblock ausgewählt. Der Suchradius kann je nach Oberfläche und der Fliessstruktur definiert werden. Die Koordinaten dieses Referenzblocks sind im Datensatz hinterlegt. In einem zweiten Schritt wurde der entsprechende Referenzblock aus Datensatz 1 im Datensatz 2 (2022) in einem Teilbereich (Testgebiet) gesucht, wobei ein bestimmter Suchradius angegeben wurde. Durch die lange Zeitspanne zwischen den Aufnahmen ist ein etwas grösserer Suchradius von 25m gewählt worden.

Terrestrische Vermessung

Die Daten der terrestrischen Vermessung des Muragl Blockgletschers sind in Zusammenarbeit mit Dr. Isabelle Gärtner-Roer von der Universität Zürich am 21.08.2022 erhoben und von ihr für diese Studie zur Verfügung gestellt worden. Die Daten sind mit Hilfe eines Tachymeters und 20 fixen Punkten verteilt über den Blockgletscher, welche anhand eines Prismas vom Tachymeter erkannt wurden, vermessen worden. Somit konnten Bewegungen der Fixpunkte als Kriechbewegungen des Blockgletschers quantifiziert werden.

Permos Daten

Die Lufttemperatur hat einen bedeutenden Einfluss auf die Schneedecke, welche je nach Jahreszeit unterschiedliche Einflüsse auf den Permafrostkörper haben kann. Die Lufttemperatur nimmt nicht direkt Einfluss auf den Permafrost. Wichtige Grössen in der Veränderung um den Permafrost sind aber Bodenoberflächentemperatur und die Temperaturen innerhalb des Permafrostkörpers. Um Korrelationen zwischen Boden-/Lufttemperaturen mit der Kinematik des Blockgletschers eruieren zu können, wurden verschiedene Datensätze von der Permos Datenbank in dieser Arbeit integriert und mit den Resultaten Verglichen.


Resultate

In der Swipe Map der Orthofotos wird die Verändeurng der Blockgletscherzunge wie auch des umliegende Gelände ersichtlich. Schwache Veränderungen sind im umliegenden Gebiet zu erkennen. Besonders die Veränderung der Kriechwülste auf dem Blockgletscher sind in der Swipe Map gut erkennbar.

Swipe Map der Orthofotos vom Muragl Blockgletschers der Jahre 2015 (links) und 2022 (rechts)

Die Volumenänderung des Muragl Blockgletschers während der Zeitperiode Juli 2015 bis August 2022 ist als Fliessbildmodel in der Abbildungen rechts ersichtlich. Diese Visualisierung zeigt Veränderungen in der Mächtigkeit sowie Verschiebungen des Blockgletschers von bis zu 4m. Mit Hilfe der Farbskala wurden die Bereiche in Zuwachs- und Abnahmezonen eingeteilt. Besonders gut zu erkennen ist die talwärts gerichtete Kriechbewegung, welche bei der Front des Blockgletschers in einen Massezuwachs resultierte. Auch die Front der Ausbruchslobe auf der nördlichen Seite des Blockgletschers hat sich weiter nach Norden verschoben. Dabei ist eine lokal Abnahme der Mächtigkeit von 1m bis 4m zu erkennen, was gut mit der Zunahme an der Front von bis zu 4m korreliert.

Visualisiertes Model des Fliessverhaltens des Muragl Blockgletscher in der Seitenansicht, dargestellt mit Cloud Compare. Anhand der Legende ist die Kriechbewegung in Metern zu erkennen

Das Fliessverhalten wurde mittels Vektoren visualisiert, dabei wurden am Muragl Blockgletscher Kriechbewegungen von bis zu 8.6m in sieben Jahren festgestellt. Für eine übersichtliche Visualisierung wurden die Fliessvektoren ihrer Stärke nach in 4 Kategorien eingeteilt. Über die gesamte Blockgletscherzunge sind klare Muster der hangabwärts gerichteten Kriechbewegung erkennbar. Es existieren zwei Zonen mit erhöhten Kriechgeschwindigkeiten. Die erste befindet sich auf der nördlichen Ausbruchslobe und die zweite im mittleren nördlichen Teil der Blockgletscherzunge.

Kriechbewegung des Muragl Blockgletschers visualisiert mit Fliessvektoren. Die Fliessvektoren sind mit dem Orthofoto des Jahres 2022 in Grau hinterlegt. In der Legende können die Verschiebungen der Referenzpunkte anhand von Farben erkannt werden. Die Grösse des Pfeils nimmt mit der Distanz der Verschiebung zu

Die in der rechten Abbildung ersichtlichen 20 auf dem Blockgletscher platzierten Fixpunkte zeigen ein klares Muster der Kriechbewegung auf. Für diese Studie wurden die Daten der Jahre 2015 und 2022, für eine vergleichbare Untersuchung mit den anderen Resultaten, aus der Zeitreihe der terrestrischen Vermessung am Muragl Blockgletscher von Permos ausgewählt. Die grössten Verschiebungen wurden auf der nördlichen Seitenlobe (Punkt 13 & 14), wie auch im mittleren nördlichen Teil (Punkte 08 - 11) der Blockgletscherzunge eruiert. Ein talwärts gerichtetes Kriechmuster war über alle Fixpunkte ersichtlich. Lediglich der vorderste Punkt auf der Blockgletscherzunge, verzeichnete nur wenig Bewegung während der Messperiode.

Die Kontrollpunkte der tachymetrischen Vermessungen welche seit 2009 regelmässig durchgeführt wurden. Hinterlegt mit dem Orthofoto aus dem Jahre 2022

In dieser Tabelle sind die berechneten Horizontaldistanzen zu den 20 Kontrollpunkte der terrestrischen Vermessung visualisiert. Die Verschiebungswerte in der mittleren nördlichen Zone befinden sich im Bereich von 11.60 bis 13.81m.

In der Abbildung rechts sind die absoluten Kriechgeschwindigkeiten, eruiert durch terrestrische Vermessungen, am Muragl in der Zeitspanne 2009 bis 2022 ersichtlich. Auf der Y-Achse ist die durchschnittliche horizontale Oberflächengeschwindigkeit in Metern pro Jahr zu erkennen. Die X-Achse zeigt den Aufnahmezeitraum in jährlichen Schritten auf. Die Kinematik ist am stärksten um die Punkte MUR_006 bis MUR_011. Dabei handelt es sich um die Vermessungspunkte der nördlichen mittleren Zone auf der Blockgletscherzunge.

Diskussion

Vergleich der Resultate verschiedener Methoden für die Quantifizierung der Blockgletscherkinematik

Die grössten Verschiebungen während der Zeitperiode 2015 und 2022 fanden gestützt auf das Model des Fliessverhaltens und der Fliessvektoren im mittleren und nördlichen Teil des Blockgletschers statt (Abbildung Zonen A & B). Dies korreliert mit den Daten aus der terrestrischen Untersuchung, welche dasselbe Muster zeigen. Das gleiche konnte auch schon durch terrestrische Untersuchungen in den Jahren 2009-2010 von Nötzli et. al. festgestellt werden. Es wurden damals horizontale Geschwindigkeiten von 1m bis 1,5m pro Jahr im zentralen Teil des Blockgletschers gemessen. Die Geschwindigkeiten an der Front sowie ausserhalb der Zonen A und B waren deutlich geringer (Noetzli et al., 2013). Dies wird auch in den Resultaten der aktuellen Arbeit ersichtlich. Weiter konnte schon Kääb während der Untersuchungsperiode von 1981-1994 aufzeigen, dass die grössten Kriechbewegungen im Bereich des mittleren Teils stattfinden (Kääb et al., 2003). Die Abbildung wurde mit den Daten aus der terrestrischen Untersuchung ergänzt, wobei sich die gleichen Zonen (A & B) mit erhöhten Kriechgeschwindigkeiten von der restlichen Blockgletscheroberfläche abheben. Die grösste Horizontaldistanzen im Bereich von 11.60 bis 13.81m wurden bei den Kontrollpunkten 08 bis und mit 11 gemessen wurde.

Im Vergleich mit anderen Blockgletschern in unmittelbarer Nähe, wie dem Schafberg auf der anderen Seite der Las Sours oberhalb von Pontresina oder dem Murtel Corvatsch südöstlich oberhalb des Silvaplanersees, hat der Muragl Blockgletscher einen viel geringeren Eisanteil und einen höheren Anteil an Lufteinschlüssen. Des Weiteren ist das Eis des Muragl Blockgletscher wärmer und liegt nahe bei 0°C (Arenson et al., 2002). Durch den warmen Permafrost in Kombination mit dem etwas steileren Hang, an dem sich der Muragl befindet, entsteht zusätzliche potenzielle Energie. Diese schwerkraftbedingte Kraft resultiert, mit der verringerten Scherfestigkeit durch die wärmeren Permafrosttemperaturen, in einer mehr als doppelt so hohen Kriechgeschwindigkeit verglichen mit dem Murtel Corvatsch Blockgletscher, welcher als «kalter» Blockgletscher eingestuft wird und somit relativ träge auf Lufttemperaturänderungen reagiert (Arenson et al., 2002; Frauenfelder & Roer, 2007).

Boden-/Lufttemperatur in Korrelation mit der Blockgletscherkinematik

Der Winter 2019/2020 gilt als einer der mildesten Winter seit Messbeginn 1864. In diesem Winter ist das landesweite Mittel erstmals auf 0,7 °C gestiegen. Ähnliche Extreme während der Wintermonate gab es erst viermal in der über 155-jährigen Messgeschichte der Schweiz (MeteoSchweiz, 2020). Der Winter 2019/2020 ist auch durch eine ungleiche Niederschlagsverteilung weiter interessant. Während dieses Winters verzeichnete die Region Oberengadin Niederschlagsmengen unter der jährlichen Norm und im Januar 2020 lediglich 10-30% der jährlichen Norm an Schnee (MeteoSchweiz, 2020). Dies hatte einen signifikanten Einfluss auf die Schneedecke im Frühling und Frühsommer, was die erhöhten Kriechgeschwindigkeiten im Jahr 2020 erklärt.

Die Veränderung des Permafrosts über die Zeit steht immer in Abhängigkeit mit dem sich ändernden Klima. Durch ansteigende Durchschnittstemperaturen, vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten, kann ein Anstieg der Bodentemperaturen an diversen Blockgletschern festgestellt werden (Noetzli & Pellet, 2020).

Eignung von Drohnen für die Quantifizierung der Blockgletscherkinematik

Für die Verifizierung der Drohnenresultate wurden in dieser Arbeit die Daten aus der terrestrischen Aufnahme mit dem Tachymeter verwendet. Im Vergleich der Datensätze können gleiche Muster erkannt werden. Wenn betrachtet wird, dass die terrestrischen Aufnahmen eine Genauigkeit von ca. 1cm in der Horizontalen und 2cm in der Vertikalen aufweisen, bestätigt dies die Genauigkeit der Drohnendaten (Lambiel & Delaloye, 2004).

Ausblick auf zukünftige Trends

Die Temperaturen des Permafrostkörpers in den untersten Lappen des Muragl Blockgletschers liegen sehr nahe am Schmelzpunkt. Dieses Eis wurde durch die hangabwärts gerichtete Kriechbewegung dorthin transportiert. Die Bildung von Permafrost in diesen tiefen Lagen wäre nicht möglich, was auch eine Degradierung dieser Körper unter den gegebenen Umständen bedeutet. Im Gegensatz zum Murtel-Corvatsch Blockgletscher, wo der Permafrost durch einfrierendes Wasser wachsen kann, existiert der Permafrost im unteren Teil des Muragl Blockgletscher lediglich durch die gespeicherte Energie im Permafrostkörper und kann sich nicht weiter entwickeln (Arenson et al., 2002). Besonders in Anbetracht der stetig steigenden Temperaturen wird eine weitere Degradation des Muragl Blockgletschers angenommen. Ausgelöst durch die Klimaerwärmung und zukünftige Hitzewellen, welche in höheren Bodenoberflächentemperaturen resultieren, werden die Permafrostschichten vermehrt bis in tiefere Schichten auftauen. Dies wird zu Hanginstabilitäten sowie der Verlagerung der Permafrostgrenze nach oben führen (French, 2007). Gemäss Klimaszenarien wird sich die Wintererwärmung der letzten Jahre in Zukunft weiter fortsetzten. Die Hauptauswirkungen auf die Schweiz bis Mitte des Jahrhunderts werden, ohne verstärkten weltweiten Klimaschutz, einen weiteren Anstieg der winterlichen Normtemperatur um 3.5°C zur Folge haben. Dabei wird nur noch ein Viertel der heutigen Schneebedeckung in den Niederungen vorhanden sein (MeteoSchweiz, 2020). Dies wird nicht nur Einfluss auf die Wintermonate haben, sondern auch auf die darauffolgenden Frühlings- und Sommermonate, wo eine isolierende Schneedecke fehlt, um die Blockgletscher vor weiterer Degradierung während der warmen Jahreszeiten zu schützen.


Kernthesen

Der Muragl Blockgletscher verzeichnete über den Zeitraum von 2015 bis 2022 lokale Volumenveränderungen von 4m Zunahme bis 4m Absenkung auf. Die Zunahme ist als hangabwärts getrichterte Massenbewegung zu verstehen und die Absenkung entsprechend die dahinter kollabierende Masse.

Besonders hohe Kriechgeschwindigkeiten wurden im zentralen nördlichen Teil der Blockgletscherzunge und auf der nördlichen Ausbruchslobe beobachtet. Die maximal gemessenen Kriechgeschwindigkeiten betrugen dabei 13.61m in 7 Jahren.

Der milde Winter 2019/2020 führte zu einer weniger schwachen Frosteinwirkung auf den Permafrostkörper in den Wintermonaten, was sich durch den fehlenden Schnee im Frühsommer noch zuspitzte und in stark erhöhte Kriechgeschwindigkeiten resultierte.

Der Muragl Blockgletscher hat lokal durchschnittliche Kriechgeschwindigkeiten von bis zu 2m/a. Dies ist im Vergleich zu den Blockgletschern in der näheren Region wie dem Murtel-Corvatsch Blockgletscher oder dem Blockgletscher am Schafberg relativ hoch. Dies ist vor allem mit den thermischen Voraussetzungen des Muragl Blockgletschers und der topografische Lage zu erklären.


Schlussfolgerung

Lufttemperatur und Schneedecke haben von den meteorologischen Variablen den größten Einfluss auf die saisonale und interannuelle Variationen des thermischen Regimes von Gebirgspermafrost (Noetzli & Pellet, 2022). Dies wird beim Betrachten der Zeitreihe von Permos der Jahre 2009 bis 2022 der durchschnittlichen jährlichen Kriechgeschwindigkeiten ersichtlich. Wobei erhöhte Kriechgeschwindigkeiten auf der Blockgletscherzunge durch den milde Winter 2019/2020 ausgelöst wurden. Die jährliche durchschnittliche Kriechgeschwindigkeit des Muragl Blockgletschers hat seit 2009, mit einem Unterbruch in den Jahren 2016, 2017 & 2018, stark zugenommen und im Jahr 2021 lokale Geschwindigkeiten von über 2m/a erreicht. Durch die steigenden Luft- und Bodentemperaturen nimmt die Mächtigkeit der Auftauschicht zu. In milden Wintern kann diese oberste Schicht im Permafrostkörper nicht mehr durchfrieren, was in Kombination mit heissen Sommern zur Degradierung des Permafrosts führt. Dies resultiert in Absenkungen und Massenverlagerungen auf dem Blockgletscher was in eine talwärts gerichtete Massenbewegung, auch bekannt als Kriechbewegung, resultiert, wie es auch in den Resultaten dieser Studie sehr gut erkennbar ist. Dadurch werden die typischen Kriechwülste gebildet, welche sich beim Muragl Blockgletscher zwischen den Jahren 2015 und 2022 bis zu 4m hangabwärts verschoben haben. Der Anstieg der Kriechgeschwindigkeit ist weiter auch auf die Veränderung des Verhältnisses von Wasser zu Eis im Permafrostkörper zu erklären, wobei die Kriechgeschwindigkeit bei höherem Wasseranteil zunimmt. Dies wird lokal am Muragl Blockgletscher, als warmem Blockgletscher mit Temperaturen um 0°C, noch verstärkt. Die absolute Kriechbewegung ist beträchtlich und beträgt lokal bis zu 13.61m in den sieben Jahren zwischen den Datenerhebungen. Das visualisierte Model des Muragl Blockgletschers zeigt ebenfalls erhöhte Massenbewegungen, besonders hohe Veränderungen sind in den Zonen A und B mit erhöhter Kriechgeschwindigkeit zu erkennen. Im Rahmen dieser Studie konnte eine hohe Kriechgeschwindigkeit des Muragl Blockgletschers über mehrere Jahre hinweg aufgezeigt werden und dass diese mit den sich ändernden klimatischen Bedingungen korreliert. Die Degradation des Permafrosts am Muragl wird mit weiter zunehmenden Durchschnittstemperaturen fortschreiten. Die vorliegende Studie liefert weiter einen aktuellen Zustand des Muragl Blockgletschers sowie, unter Einbezug und im Vergleich zu den bestehenden Arbeiten, einen umfassenden Überblick sowie neue Erkenntnisse hinsichtlich der Veränderungen am Muragl Blockgletscher der letzten Jahre. Diese Resultate können für die Abschätzung zukünftiger Entwicklungen am Muragl Blockgletscher von potenziellem Nutzen sein.

Permafrostflche in den Alpen

Michael, M., Kellerer-Pirklbauer, A., & Gärtner-Roer, I. (2018). Permafrost in den Alpen: Erschein-ungsformen, Verbreitung und zukünftige Entwicklung. Geographische Rundschau, 10, 22–29. https://doi.org/10.5167/UZH-170231

Blockgletscher als Schlüssellandschaftsformen der Geomorphologie

Delaloye, R., Lambiel, C., & Gärtner-Roer, I. (2010). Overview of rock glacier kinematics research in the Swiss Alps Seasonal rhythm, interannual variations and trends over several decades. Geographica Helvetica, 65, 135–145. https://doi.org/10.5194/gh-65-135-2010

Blockgletscher als wichtige Indikatoren des Permafrosts im Hochgebirge

Frauenfelder, R., & Roer, I. (2007). Permafrostindikatoren der besonderen Art: Was Blockgletscher bewegt. Die Alpen, 9, 34–37. https://doi.org/10.5167/uzh-34698

Beschleunigung der Kriechgeschwindigkeiten der Blockgletscher in den letzten zehn Jahre

Haberkorn, A., Kenner, R., Noetzli, J., & Phillips, M. (2021). Changes in Ground Temperature and Dynamics in Mountain Permafrost in the Swiss Alps. Frontiers in Earth Science, 9, 626–686. https://doi.org/10.3389/feart.2021.626686

Destabilisierung des Permafrostbodens

Kääb, A., Huggel, C., Fischer, L., Guex, S., Paul, F., Gärtner-Roer, I., Salzmann, N., Schlaefli, S., Schmutz, K., Schneider, D., Strozzi, T., & Weidmann, Y. (2005). Remote sensing of glacier- and permafrost-related hazards in high mountains: An overview. Natural Hazards and Earth System Sciences, 5, 527–554. https://doi.org/10.5194/nhess-5-527-2005

Blockgletscher als Naturgefahr

Musil, M. (2002). Inverting seismic and georadar data with applications to the Muragl rock glacier [Doctoral Thesis, ETH Zürich]. https://doi.org/10.3929/ethz-a-004311720

Morphologie von Blockgletschern

Staub, B. (2015). The evolution of mountain permafrost in the context of climate change – towards a comprehensive analysis of permafrost monitoring data from the Swiss Alps [Doctoral Thesis].

Structure from Motion (SfM) Verfahren

Vivero, S., Bodin, X., Farías-Barahona, D., MacDonell, S., Schaffer, N., Robson, B. A., & Lambiel, C. (2021). Combination of Aerial, Satellite, and UAV Photogrammetry for Quantifying Rock Glacier Kinematics in the Dry Andes of Chile (30°S) Since the 1950s. Frontiers in Remote Sensing, 2.

Schema zur Messung von Oberflächenverschiebungen mittels Blockkorrelationstechniken

Vollmer, M. (2000). Surface Geometry, Thickness Changes and Flow Fields on Creeping Mountain Permafrost: Automatic Extraction by Digital Image Analysis. Permafrost and Periglacial Pro-cesses, 11, 315–326. https://doi.org/10.1002/1099-1530(200012)11:43.0.CO;2-J

Grafik mit absoluten Kriechgeschwindigkeit des Muragl Blockgletschers

PERMOS Data Portal. (2022). https://doi.org/10.13093/permos

Muragl Blockgletscher Geschwindigkeiten

Noetzli, J., Buchli, T., Delaloye, R., Gärtner-Roer, I., Gruber, S., Hauck, C., Hilbich, C., Kos, A., Lambiel, C., Morard, S., Phillips, M., & Springman, S. (2013). Permafrost in Switzerland 2008/2009 and 2009/2010. Glaciological Report (Permafrost), 10/11, 80. https://doi.org/10.13140/RG.2.1.1466.1847

Muragl Blockgletscher Geschwindigkeiten 1981 bis 1994

Kääb, A., Kaufmann, V., Ladstädter, R., & Eiken, T. (2003). Rock glacier dynamics: Implications from high-resolution measurements of surface velocity fields. In Rock glacier dynamics: Implica-tions from high-resolution measurements of surface velocity fields (S. 501–506). Swets & Zeitlinger.

Permafrosttemperaturen am Muragl Blockgletscher

Arenson, L., Hoelzle, M., & Springman, S. (2002). Borehole deformation measurements and inter-nal structure of some rock glaciers in Switzerland. Permafrost and Periglacial Processes, 13(2), 117–135. https://doi.org/10.1002/ppp.414

Der Winter 2019/2020 als einer der mildesten Winter seit Messbeginn 1864

MeteoSchweiz (Klimabulletin Winter 2019/2020). (2020).

Anstieg der Bodentemperaturen an diversen Blockgletschern

Noetzli, J., & Pellet, C. (2020). Swiss Permafrost Bulletin 2018/2019. 20. https://doi.org/10.13093

Genauigkeit von terrestrischen Aufnahmen mit dem Tachymeter

Lambiel, C., & Delaloye, R. (2004). Contribution of real-time kinematic GPS in the study of creeping mountain permafrost: Examples from the Western Swiss Alps. Permafrost and Periglacial Processes, 15(3), 229–241. https://doi.org/10.1002/ppp.496

Verlagerung der Permafrostgrenze

French, H. M. (2007). The Periglacial Environment (3rd edition). John Wiley & Sons Ltd.

Einfluss der Lufttemperatur und Schneedecke auf den Permafrost

Noetzli, J., & Pellet, C. (2022). Swiss Permafrost Bulletin 2021. 3, 22. https://doi.org/10.13093/permos-bull-2022

M3C2 Algorithmus

Lague, D., Brodu, N., & Leroux, J. (2013). Accurate 3D comparison of complex topography with terrestrial laser scanner: Application to the Rangitikei canyon (N-Z). ISPRS Journal of Photo-grammetry and Remote Sensing, 82, 10–26. https://doi.org/10.1016/j.isprsjprs.2013.04.009

Fotos Muragl Blockgletscher

Sandro Cathomen, 2022

Schema zur Messung von Oberflächenverschiebungen mittels Blockkorrelationstechniken. Ein Referenzblock im Datensatz 1 wird in einer Testfläche im Datensatz 2 gesucht. Die horizontale Verschiebung zwischen der Position des Referenzblocks und dem entsprechenden Testblock ergibt die Oberflächenverschiebung, welche als Vektor visualisiert wird (Vollmer, 2000).