
Logisch: Lieferkettengesetz
Das Lieferkettengesetz als (k)(l)eine Lösung für Ungleichheit und ungleiche Entwicklung
Tote bei Fabrikbränden, ausbeuterische Kinderarbeit, zerstörte Regenwälder... Das ist das Ergebnis von in Deutschland verkauften Produkten. Verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen dokumentieren seit Jahren die Folgen von globalen Lieferketten und der ausgeprägten weltweiten Arbeitsteilung. Viele Unternehmen und letztendlich auch die Konsument:innen in Deutschland profitieren finanziell von den weniger regulierten Arbeits- und Umweltbedingungen und niedrigeren Produktionskosten in Ländern des Globalen Südens. Die Konsequenzen dieser Produktionsweise - ob Umweltzerstörung oder schlechte Arbeitsbedingungen - werden dabei von den meisten Unternehmen und Konsument:innen stillschweigend akzeptiert.
Frau Merkel, wir brauchen endlich ein Lieferkettengesetz!
Die Lösung? Ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen, die Produkte in Deutschland verkaufen, dazu verpflichtet, angemessene Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen entlang ihrer Lieferketten zu ergreifen und transparent zu berichten.
Verschiedene europäische Länder haben derartige Gesetze schon auf den Weg gebracht. Deutschland soll jetzt nachziehen. Konkrete Pläne dafür werden in den zuständigen Ministerien von Entwicklungminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits erarbeitet.
Aber ist die Lösung so einfach? Ein Gesetz und die negativen Folgen von globalen Lieferketten werden beseitigt? Das erscheint unrealistisch. Es lohnt sich daher, einen genaueren Blick auf die Auswirkungen von globalen Lieferketten zu werfen. Ist das Lieferkettengesetz eine Lösung für bestehende Ungleichheiten und die ungleiche Entwicklung entlang von Lieferketten?
Fokus: Ungleichheit
Um diese Frage zu beantworten, stellt sich zunächste eine andere: Was ist überhaupt Ungleichheit? Und wie sieht Ungleichheit entlang von Lieferketten aus?
Das Problem der Ungleichheit in und durch Lieferketten ist vielfältig und komplex. Kurz:
Globale Wertschöpfungsketten können zu einer Zunahme von sozialen Ungleichheiten und ökologischen Problematiken führen.
Die Weltbank und auch viele andere Institutionen und Forscher:innen gehen jedoch davon aus, dass dieser Umstand mit geeigneten politischen Regulierungen verbessert werden kann.
Ungleichheit und Lieferkettengesetz
Eine mögliche politische Maßnahme ist das Lieferkettengesetz. Um Missstände in den Wertschöpfungsketten anzugehen, verpflichtet es Unternehmen zur «menschenrechtlichen Sorgfalt», definiert nach den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrecht der Vereinten Nationen (UN Leitprinzipien, 2011) und den OECD Leitsätze für Multinationale Unternehmen (2011) . Konkret heißt das, Unternehmen müssen eine Risikoanalyse durchführen, um die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen ihrer Geschäfte auf die international anerkannten Menschenrechte, Arbeitnehmer:innenbelange und die Umwelt zu ermitteln. Gegebenenfalls müssen sie dann geeignete Maßnahmen ergreifen, um die bestehenden Verletzungen zu beenden.
Das Lieferkettengesetz adressiert damit nur die gravierendsten Auswirkungen bestehender Ungleichheiten. Es ist aber keine Lösung für z. B. Einkommens- und Vermögensungleichheiten, Ungleichheiten zwischen Staaten bzw. politischen Systemen oder Unternehmen. Auch werden soziale Ungleichheiten wenig bis gar nicht bedient. Es verpflichtet lediglich deutsche Unternehmen zur Überwachung ihrer Lieferketten und versucht Arbeits- und Umweltstandards an die im globalen Norden üblichen Regelungen anzunähern.
Mit anderen Worten:
Das Lieferkettengesetz versucht durch individualisierte Maßnahmen von einzelnen Unternehmen ein strukturelles Problem zu lösen.
Ungleiche Entwicklung
Das Zeugnis für das Lieferkettengesetz in Bezug auf Ungleichheit ist somit eindeutig. Es hilft kaum. Aber zahlreiche Autor:innen vertreten die Ansicht, dass globalisierte Lieferketten nicht nur Ungleichheit erzeugen, sondern dass ihnen auch ein Muster der ungleichen Entwicklung eingeschrieben ist. Was aber ist der Unterschied zwischen Ungleichheit und ungleicher Entwicklung? Und wie hängen Lieferketten mit ungleicher Entwicklung zusammen?
Betrachtet man die globalen Lieferketten des Weltwirtschaftssystems nun unter Einbezug des Phänomens der ungleichen Entwicklung, verhärtet sich auch die Perspektive auf die Forderung eines deutschen Lieferkettengesetzes.
Fazit: Lieferkettengesetz
Das Lieferkettengesetz versucht zwar ein neues Minimum an Standards zu setzen, indem es deutsche Unternehmen dazu verpflichtet, für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz zu sorgen. Es unterstützt damit Staaten im globalen Süden ein Stückweit, nationale Gesetze durchzusetzen. Aber das Lieferkettengesetz gibt keine Antwort auf strukturelle Asymmetrien, die den negativen Folgen von globalen Lieferketten zu Grunde liegen. Es bietet keine Lösung für Machtasymmetrien, die sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben. Es bietet auch keine Lösung für das Streben nach den geringsten Produktionskosten ohne Berücksichtigung der Kostenwahrheit (z. B. ökologische Kostenwahrheit aber auch soziale Kostenwahrheit).
Alles in allem ist das Lieferkettengesetz zwar ein gut gemeinter Ansatz, den negativsten Auswirkungen von globalen Wertschöpfungsketten zu begegnen, es wird der Komplexität des Problems aber nicht gerecht und ist nur eine Lösung innerhalb des bestehenden Systems.
Für eine wirkliche Veränderung der bestehenden Ungleichheiten und der ungleichen Entwicklung braucht es vielmehr eine grundlegende Auseinandersetzung mit den aktuellen Wirtschaftslogiken und ihren Alternativen.
Impressum: Die vorliegende Storymap entstand im Rahmen des Masterseminars "World of/in chains: Labor, Nature and Uneven Development in the Globalized Economy" des Lehrstuhls Wirtschaftsgeographie (Prof. Dr. Stefan Ouma) an der Universität Bayreuth.
Autor*innen: Franziska Falterer, Max Willinghöfer, Isabelle Ortmüller