
Naturschutz-Kompensationen: mehr Nebenwirkungen als gedacht
Rohstoffsektor in Madagaskar
Die Rohstoffindustrie kann dem globalen Süden Fortschritt bringen. Sie führt aber auch zu Abholzung, Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen.
Ein CDE-Forschungsteam hat in Madagaskar die sozialen und ökologischen Auswirkungen des Bergbaus untersucht und unter anderem mit einer räumlich-zeitlichen Analyse von Entwaldung und Walddegradation zu Tage gefördert: Die Auswirkungen der grössten Mine in Madagaskar, Ambatovy, auf den Wald sind bei genauer Betrachtung deutlich grösser als bisher publik gemacht – trotz Naturschutz-Kompensationen.
Busse transportieren täglich das Personal, das am Standort Moramanga für Ambatovy arbeitet.
Die globale Nachfrage nach Ressourcen nimmt rapide zu. Zwischen 1970 und 2017 hat sich der Abbau von Rohstoffen weltweit mehr als verdreifacht. Eine kürzlich veröffentlichte Studie beziffert die Ausdehnung aktiver Tagebau-Flächen auf über 65,500 km 2 . Das entspricht in etwa der Landfläche Sri Lankas. Rund 10 Prozent davon überschneiden sich mit Naturschutzgebieten.
Übersichtskarte der globalen Bergbau-Infrastruktur von 1990 bis und mit 2020. Datenquellen: S&P Global Market Intelligence (2020), Natural Earth (2024).
Die gebotene Energiewende wird diesen Trend noch beschleunigen. Denn viele der kohlenstoffarmen Technologien wie Wind- und Sonnenenergie funktionieren mit Speicherbatterien, die Kupfer, Kobalt, Nickel und Lithium benötigen. Aber auch Elektrofahrzeuge, stationäre Stromspeicher, Mikrochips oder Meerwasser-Entsalzungsanlagen treiben den Erzabbau an.
Afrika im Fokus der Bergbauindustrie
Afrika ist deshalb zunehmend in den Fokus der Bergbauindustrie gerückt. Hier befinden sich fast zwei Drittel der geschätzten weltweiten Reserven an Bodenschätzen. In diesem Reichtum sehen so manche eine grosse Chance für die wirtschaftliche Entwicklung der rohstoffreichen Länder Afrikas.
Dazu zählt auch Madagaskar. Schon heute spielt das Land eine wichtige Rolle in der globalen Produktion von Kobalt, Ilmenit, Glimmer, Nickel und Zirkon. Trotzdem sind die Bodenschätze des Inselstaats noch weitgehend ungenutzt.
Das dürfte sich bald ändern: Internationale Investoren haben in den letzten zwei Jahrzehnten gleich mehrere grosse Bergbauprojekte aufgegleist. Und die madagassische Regierung will den Trend noch verstärken. Mit dem im Mai 2023 revidierten Bergbaugesetz beabsichtigt sie, weitere ausländische Firmen anzulocken – obschon die bisherigen und aktuell geplanten Minenprojekte bei der Lokalbevölkerung zum Teil auf heftigen Widerstand stossen.
Umso drängender stellt sich die Frage nach deren Auswirkungen in einem Land, das ein Biodiversitäts-Hotspot ist und gleichzeitig eine der höchsten Armutsraten der Welt aufweist.
Grosse Minenprojekte in Madaskar
Die Mine und Aufbereitungsanlage von Ambatovy (bei Moramanga bzw. Toamasina) sind seit 12 Jahren in Betrieb, jene von QMM/Rio Tinto in Taolagnaro seit 15 Jahren. Hinzu kommt das Gebiet von Tsimiroro, wo ein Schweröl-Feld mit geschätzten 1,7 bis zu 9,3 Milliarden Barrel liegt, das sich in einer Testphase befindet.
In Planung sind zwei weitere Minenprojekte: Eines in Ranobe, wo Ilmenit-, Zirkon- und Rutilvorkommen unmittelbar neben einem Naturschutzgebiet abgebaut werden sollen, das einen einzigartigen Lebensraum für verschiedene Vogel-, Lemuren- und Reptilienarten darstellt. Das andere liegt in Ampasindava, wo Probebohrungen für Seltene Erden stattgefunden haben.
Wissenschaft nimmt sich der Fragen an, aber…
Die Frage beschäftigt auch die Wissenschaft. So gibt es zwar zahlreiche Studien zum Thema, allein: Die meisten davon konzentrieren sich auf Folgen, die kurz nach dem Bau oder der Inbetriebnahme unmittelbar am Standort einer Mine auftraten – und auch das oft nur im Hinblick auf die Biodiversität.
Studien hingegen, die die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen grosser Bergbauprojekte ganzheitlich und über einen längeren Zeitraum untersuchen, sind rar – selbst bei den beiden grössten Minen im Land, die seit über zehn Jahren in Betrieb sind: QMM/Rio Tinto sowie Ambatovy.
Die Untersuchungen des CDE
Mit mehreren methodischen Ansätzen untersuchte ein Team von Wissenschaftler*innen in drei Teilstudien,
- wie sich diese beiden grössten Minen sowie zwei weitere, die in Planung sind, auf die Lebensbedingungen und das Wohlergehen der lokalen Bevölkerung niederschlagen;
- wie der rechtliche Rahmen für grosse Minenprojekte umgesetzt wird – und welche Rolle dabei die Entscheidungs- und Machtverhältnisse verschiedener Interessensgruppen spielen;
- und wie sich Minenprojekte auf die fortschreitende Entwaldung und Walddegradation auswirken. Denn: Eine Studie aus dem Jahr 2021 geht davon aus, dass intakte tropische Feuchtwälder in Madagaskar bis 2050 vollständig verschwinden, wenn das derzeitige Durchschnitts-Tempo der Entwaldung anhält.
Forschende entnehmen einem Bach Wasserproben. Dieser diente der Lokalbevölkerung als Wasserquelle, bevor Ambatovy in der Nähe davon Absetzbecken für die Schlacke-Rückstände der Mine baute.
Nickel und Kobalt für die Welt – und ein Segen für Madagaskar?
Doch werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Bestrebungen der beiden grössten Bergbauunternehmen, um schädliche Einflüsse auf Mensch und Umwelt zu vermeiden.
Derweil QMM/Rio Tinto nach wie vor für negative Schlagzeilen wegen Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen und mangelnder Transparenz sorgt, stellt sich das japanisch-koreanische Joint Venture Ambatovy als Vorzeige-Mine dar, die den Hunger der Welt auf Nickel und Kobalt stillt, in Madagaskar Schulen, Gesundheitszentren, Arbeitsplätze, Infrastruktur und Wirtschaftswachstum schafft sowie darauf zielt, «den natürlichen Reichtum des Landes an all seinen Standorten zu erhalten und zu verbessern».
Für Letzteres identifizierte das Bergbauunternehmen vier Kompensationsgebiete, für deren Schutz sich das Unternehmen einsetzen will. Eine Massnahme übrigens, die inzwischen als Standard gilt, damit Regierungen Minenprojekte bewilligen und Entwicklungsbanken Gelder dafürsprechen.
Ambatovy
Ambatovy ist eine der grössten lateritischen Nickel- und Kobaltminen der Welt und wird im Tagebau betrieben. Sie liegt inmitten eines artenreichen Regenwalds im Osten Madagaskars und in der Nähe zweier Nationalparks. Die Bauarbeiten fanden zwischen 2007 und 2011 statt, die Mine wurde 2012 in Betrieb genommen.
Neben dem eigentlichen Abbaugebiet umfasst die Infrastruktur von Ambatovy eine 220 km lange Pipeline für den Transport des Abbaumaterials nach Toamasina, wo das Unternehmen eine Verarbeitungsanlage und Raffinerie mit Zugang zu einem Export-Hafen betreibt. Ferner hat Ambatovy für die Schlacke-Rückstände riesige Absetzbecken gebaut.
Die Verarbeitungsanlage von Ambatovy in Toamasina an der Ostküste von Madagaskar.
Von den vier ausgeschiedenen Biodiversitäts-Kompensationsgebieten managt Ambatovy eines selbst. Die anderen drei werden von Conservation International in Zusammenarbeit mit weiteren NGOs gemanagt.
Einen Eindruck über Aussmasse und Betrieb der Mine vermittelt dieses Video des Bergbauunternehmens (ohne Pipeline und Raffinierie).
Umwelt-Kompensationen wissenschaftlich als wirksam bestätigt
Bei den Kompensations-Bemühungen Ambatovys punkto Naturschutz lohnt es sich jedoch, genauer hinzuschauen. Nicht zuletzt deshalb, weil eine unabhängige wissenschaftliche Studie von 2022 aufhorchen liess: Gestützt auf Satellitendaten, aus denen sich die Entwaldungsflächen ableiten lassen, kam diese zum Schluss, die Kompensationsmassnahmen von Ambatovy seien «auf dem richtigen Weg, um so viel Abholzung zu verhindern, wie das Bergwerk verursachte».
Der Indri ist der grösste lebende Lemur. Er ernährt sich von Obst und Blättern der Baumkronen in den Regenwäldern Ost-Madagaskars.
Die Rolle der Walddegradation vernachlässigt
Aber ist es wirklich so einfach? Sandra Eckert, Expertin für Fernerkundung und räumliche Datenanalyse am CDE, verneint. In einer der drei Teilstudien des CDE-Projekts hat sie zusammen mit Luc Schmid zwei der vier Kompensationsgebiete und deren unmittelbare Nachbarschaft bei Ambatovy mit einer räumlich-zeitlichen Analyse auf der Basis von Satellitenbild-Zeitreihen untersucht.
Das Ziel: Nicht nur die Entwaldung, sondern auch die Walddegradation zu erfassen und zu bewerten – und so sämtliche Veränderungen in den Waldgebieten vor, während und nach der Inbetriebnahme der Mine aufzuzeigen.
Denn, so die Wissenschaftlerin: «Die Walddegradation ist ein wichtiger Treiber für Kohlenstoffemissionen und Biodiversitätsverluste. Sie beeinträchtigt die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme sowie deren Funktion und Leistungen erheblich. Doch ihre Rolle wird immer noch weitgehend ignoriert oder vernachlässigt und nicht in die Bewertungen miteinbezogen.»
Der offene Kronenschluss zeigt, dass der Wald degradiert ist. Dafür verantwortlich ist der selektive Holzschlag der wertvollsten und ältesten Bäume. Degradierte Wälder können somit deutlich weniger Kohlenstoff speichern: Wald im Osten Madagaskars.
Untersuchungsmethode
Die Forschenden des CDE analysierten mit Satellitenbild-Zeitreihen die detaillierte jährliche Dynamik der Waldveränderungen von 2006 bis 2020.
Dabei unterschieden sie zwischen verschiedenen Arten von Beeinträchtigungen des Waldes – und zwar innerhalb des Minengebiets, in den beiden wichtigsten Biodiversitäts-Ausgleichsflächen sowie in deren Umgebung.
Um die unterschiedlichen Beeinträchtigungen im Detail räumlich und zeitlich nachzuvollziehen, analysierten sie historische Landsat-Satellitenbilder mithilfe von neuesten cloudbasierten Technologien und Algorithmen.
Genaue Analyse liefert neue Daten
Tatsächlich lässt eine solch differenzierten Betrachtung die Naturschutz-Kompensationen des Bergbauunternehmens in einem anderen Licht erscheinen. «Unsere Ergebnisse bestätigen zwar, dass die von Ambatovy definierten Naturschutzgebiete den Holzschlag in diesen Wäldern massiv reduziert haben und sich auch die Walddegradation innerhalb dieser Gebiete verringert», erläutert Sandra Eckert. «Aber wir belegen auch, dass dieser Schutz ausserhalb davon den Druck auf das Land und die natürlichen Ressourcen erhöht hat und dort zu mehr Entwaldung und Walddegradation führt.»
Mehr noch: Flächenmässig fällt die Abholzung ausserhalb der Naturschutzgebiete deutlich höher aus, als kompensiert wurde. In dieser Rechnung noch nicht einmal berücksichtigt sind die degradierten Wälder.
Abholzung und Walddegradation
Die beiden Karten zeigen die Veränderung der Waldflächen infolge Abholzung und Degradation im eigentlichen Minengebiet sowie in und um die beiden untersuchten Naturschutz-Kompensationsgebiete: rund um das Minengebiet in der Nähe von Moramanga (im Südwesten des Kartenausschnitts) sowie in Ankerana (nordöstlich davon).
Karte 1: Entwaldung
Auf der ersten Karte (nebenstehend) lässt sich die jährliche Entwaldung ablesen, die infolge des Baus der Mine (2007–2011) und Einrichtung des direkt angrenzenden Naturschutzgebiets (2009) entstand (südwestlicher Kartenausschnitt). In den Schutzzonen um das Minen-Areal herum (grün schraffierte Fläche) wurde kaum Entwaldung festgestellt. Ausserhalb der Schutzzone hat die Entwaldung seither jedoch leicht zugenommen.
Auch innerhalb der zweiten Schutzzone bei Ankerana (grün schraffierte Fläche nord-östlich davon) fand kaum Entwaldung statt. Ausserhalb davon fallen die Jahre 2012 und 2020 als extreme Entwaldungsjahre auf. Das lässt sich mit politischen bzw. wirtschaftlichen Krisen sowie Auswirkungen der Covid-Pandemie erklären. Daneben deuten die blauen Flächen auf Rotationsfeldbau hin. Diese Art von Landwirtschaft ist typisch für die Region und kommt im Umland beider Kompensationsgebiete vor.
Karte 2: Walddegradation
Diese Karte zeigt die Walddegradation für dieselben Gebiete. Es ist ersichtlich, dass die Walddegradation generell stark verbreitet ist: innerhalb des Minengebiets, teils in den Schutzzonen (grün schraffiert) sowie – vor allem – um diese herum.
Bemerkenswert: Die Entwaldungs- und Walddegradationsraten sind rund ein Jahr nach Inbetriebnahme des Bergwerks (2012) und der Einrichtung des Naturschutzgebietes von Ankerana (2011) sprunghaft angestiegen – auch in dieser Region als Folge von geringerer Verfügbarkeit von Land sowie illegaler Rodung von Edelhölzern für den Export.
Knapperes Land und zunehmende Bevölkerung – eine Negativspirale für den Wald
Grund für diese Entwicklung sind die sogenannten Spillover-Effekte: Mit der Mine und den geschützten Kompensationsgebieten sind die Flächen von Land und Wäldern, zu denen die lokalen Gemeinschaften noch Zugang haben, geschrumpft. Ohnehin arme Subsistenzbäuerinnen und -bauern waren gezwungen, umzusiedeln und ihre Reisproduktion zu verlagern – oft zulasten ungeschützter, kleiner Wälder in der Umgebung.
Reisfeld-Bewässerung von Subsistenzbäuerinnen und -bauern.
Kommt hinzu, dass der Minenbetrieb viele Menschen auf der Suche nach Verdienstmöglichkeiten anzog und zu einem Bevölkerungswachstum in deren Umgebung führte. Menschen, die wiederum ihr Brennholz in den naheliegenden Wäldern sammeln oder teils auch Jobs im illegalen Holzschlag für den Export finden.
Marktszene in Andasibe, westlich von Moramanga.
Ganzheitlichere Betrachtung gefordert
«Offensichtlich hat Ambatovy all diese Effekte unterschätzt», meint Sandra Eckert. Deshalb sei es äusserst wichtig, dass die Betrachtungsweise und die politischen Mechanismen zum Ausgleich von Biodiversitätsverlusten ganzheitlicher würden, indem man sie über die Schutzgebiete hinaus ausweitet.
«Ausserdem reicht es nicht aus, nur die ökologischen Auswirkungen von grossen Landnutzungsänderungen anzuschauen. Vielmehr müssen auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen, die diese auf lokale Gemeinschaften haben, künftig endlich mitberücksichtigt werden.»
An diesem Punkt setzen die beiden anderen Teilstudien des CDE-Projekts zu den madagassischen Minen ein. Doch dazu später in einem CDE Policy Brief.
Studie: Eckert, S. , Schmid, L., Messerli, P., Zaehringer, J.G., (2024) Spatiotemporal assessment of deforestation and forest degradation indicates spillover effects from mining activities and related biodiversity offsets in Madagascar . Remote Sensing Applications: Society and Environment, Volume 36
Kontrast zwischen der Industrieanlage von Ambatovy bei Toamasina (im Hintergrund) und dem Lebensstandard der Bevölkerung, die von von dem Rohstoffunternehmen betroffen ist.
Das Forschungsprojekt «Gouvernanz-Prozesse und Auswirkungen der Rohstoffindustrie in Madagaskar» wurde vom Swiss Network for International Studies (SNIS) unterstützt und lief 2020 bis 2023. Weitere Informationen dazu finden sich hier .