
Sich mit Riesen einlassen
Mega-Infrastrukturprojekte
Getrieben vom Wunsch nach wirtschaftlichem Wachstum werden weltweit grosse Pläne geschmiedet. Riesige neue Infrastrukturen sollen die Transportwege verkürzen, daran anschliessende Industriezonen Arbeitsplätze schaffen und gigantische Projekte Energie liefern.
Der Bau des Drei-Schluchten-Wasserkraftwerks in China hat die lokalen Kleinbauern an den Rand gedrängt.

Häufig bewirken solche Grossprojekte jedoch das Gegenteil, wie das vergangene Jahrzehnt zeigte. Viele haben zur Folge, dass die Umwelt zerstört und lokale Gemeinschaften vertrieben werden. Der wohl wichtigste Grund dafür: Sie verwandeln ganze Landschaften von ökologischem, sozialem und wirtschaftlichem Reichtum in Gebiete, deren wichtigste Aufgabe lautet: Standort für Infrastruktur zu sein.
Mekong-Ufer in Savannakhet, Laos
Transformative Forschungsinitiative aufgegleist
2021 hat das CDE daher eine neue transformative Forschungsinitiative aufgegleist – den Tranformationstream "Megainfrastrukturprojekte". Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, um lokale Gemeinschaften im Umfeld grosser Infrastrukturprojekte zu unterstützen – und zwar darin: sich zu organisieren und die Infrastrukturentwicklung so zu beeinflussen, dass sie gerecht ist und ihre Interessen berücksichtigt.
Auch Mikroinfrastrukturen sind nötig: Vietnamesiche Ladenbesitzerin versucht sich nach starken Regenfällen den Fluten zu erwehren.
«Infrastrukturprojekte können für die Entwicklung eines Landes oder einer Region sehr wichtig sein. Aber sie sollen so konzipiert werden, dass sie auch vor Ort zur Nachhaltigkeit beitragen – also die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung und die Integrität der Umwelt respektieren», erläutert CDE-Wissenschaftlerin Lara Lundsgaard-Hansen.
Die CDE-Initiative beabsichtigt ferner, lokale Akteure zu vernetzen, um die Wirkung positiver Beispiele zu verstärken.
Ostafrika, Südostasien und Kaukasus
Der Schwerpunkt des CDE liegt derzeit auf Chinas Belt and Road Initiative (BRI) in Südostasien, auf einem grossen Infrastrukturprojekt in der Kaukasusregion sowie auf dem Lamu Port, South Sudan, Ethiopia Transport Corridor, kurz LAPSSET-Projekt. Dieses soll den Hafen von Lamu in Kenia mit dem Südsudan und Äthiopien verbinden.
«Der Anschluss abgelegener Gebiete Ostafrikas an die nationale und globale Wirtschaft führt zu tiefgreifenden Veränderungen – sozioökonomisch, kulturell und ökologisch», sagt Kaspar Hurni, Wissenschaftler am CDE.
Wolle man eine nachhaltige Entwicklung sicherstellen, so Hurni weiter, liessen sich die negativen Auswirkungen nicht ausblenden, die mit der Verbesserung des Marktzugangs, der Bildung und der Gesundheitssysteme einhergehen. So können zum Beispiel die Nutzung von Land und Wasser sowie die Ankunft oder das Auftauchen neuer Akteure die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung beeinträchtigen.
Auf den Spuren von Belt and Road – einmal quer durch Laos
Schon weiter gediehen als der LAPSSET-Korridor ist die neue Seidenstrasse in Laos. Im Dezember 2021 eröffnet, verbindet die rund 400 Kilometer lange Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke die südchinesische Provinz Yunnan mit der laotischen Hauptstadt Vientiane.
Der Bahnhof von Vientiane vor seiner Eröffnung
Während seines Arbeitsaufenhaltes am CDE-Büro in Laos hat Albrecht Ehrensperger, Leiter der Impact Area Sustainable Land Systems, 2021 die neue Eisenbahnlinie zwischen Luang Prabang und der Hauptstadt Vientiane fotografiert.
Karte: Schwarze Punkte sind Bahnhöfe für den Personenverkehr, weisse für den Güterverkehr
Eisenbahnlinie und Hauptstrasse zwischen Vang Vieng und Kasi
Die Bilder zeugen von der gross angelegten visionären Erzählung, eine Hauptverkehrsader durch die boomenden Volkswirtschaften Südostasiens zu schaffen und dem Binnenland Laos damit zur besseren wirtschaftlichen Integration in die Region zu verhelfen – dank Handel, Investitionen und Tourismus.
Der Bahnhof Luang Prabang vor seiner Eröffnung
Der Bau der Eisenbahnlinie dauerte sechs Jahre. Sie umfasst 61 Kilometer Brücken und 198 Kilometer Tunnel und verkürzt die Reisezeit zwischen Vientiane und der chinesischen Grenze von fünf auf vier Stunden. Die Kosten? Sie beliefen sich auf rund 6 Milliarden Dollar.
Links: Eisenbahnlinie durch die Berge nördlich von Kasi
Bahnlinie nördlich der Hauptstadt Vientiane
Obwohl die Anschlussstrecke nach Thailand derzeit auf Eis liegt, überschlagen sich die chinesischen und laotischen Staatsmedien in Lob für das Projekt. So schrieb die Vientiane Times zum Beispiel Anfang 2021: «Diese Strecken schaffen Synergien bei der Kaufkraft: Zwei oder mehr Städte werden verbunden, so dass die Menschen in einer Stadt ihr Geld problemlos in einer anderen Region ausgeben können.»
Hochgeschwindigkeitszug im Bahnhof von Vientiane vor seiner ersten offiziellen Fahrt
Und das China Global Television Network CGTN liess Ende 2021 verlauten, das Projekt sei «nicht nur ein Symbol der Freundschaft zwischen zwei Nationen, sondern auch ein Symbol der Harmonie zwischen Mensch und Natur.»
Links: Plakate entlang der Hauptstrasse von Kasi nach Luang Prabang mit der Aufschrift: "Langfristige Freundschaft zwischen Laos und China"
Chinesische Freihandelszone in Vientiane
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch eine andere Seite. Im Zuge des Baus der Strecke hat sich Laos bei China zusätzlich mit schätzungsweise 1,5 Milliarden Dollar verschuldet.
Schwindende Devisenreserven hatten jedoch schon im September 2020 die laotische Regierung dazu veranlasst, die Mehrheit der Kontrolle über das nationale Stromnetz an ein chinesisches Staatsunternehmen abzutreten.
Und die Situation hat sich nicht verbessert. Ende November 2021 meldete die Vientiane Times: «Die Regierung braucht massive finanzielle Unterstützung» und fuhr fort: «Die Regierung wird 18,7 Billionen Kip (1,8 Milliarden US-Dollar) benötigen, um das prognostizierte Haushaltsdefizit auszugleichen und in- und ausländische Kredite bis Ende des Jahres zurückzuzahlen.»
Der Bahnhof von Luang Prabang während der Bauarbeiten
Es dürfte nicht allzu lange dauern, bis sich klarer zeigt, welche Auswirkungen dieses Projekt haben wird – nicht nur für die daran angeschlossenen Städte, sondern vor allem auch für die mehrheitlich ländliche Bevölkerung.
Welche Entwicklung stützt die Schweiz?
Diese Zeit könnte auch die Schweiz nutzen. In einer 2019 unterzeichneten Absichtserklärung hat sie die neue Seidenstrasse offiziell begrüsst – und damit die Idee legitimiert, dass der Bau von Megainfrastrukturen der Entwicklung dient. Doch welche Art von Entwicklung?
«Befürworter der BRI, wie die Schweiz, müssen die Zielländer von Infrastruktur-Investitionen dazu ermutigen, Visionen sowie Land- und Territorialrechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften ausdrücklich anzuerkennen», unterstreicht Christoph Oberlack, Leiter der Impact Area Sustainability Governance am CDE.
Zudem brauche es auch in grossem Umfang Investitionen in die Nachhaltigkeit. Andernfalls würden Megaprojekte wie die BRI die Bemühungen um eine Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 untergraben.
Mekong-Ufer zu Beginn der Regenzeit