Schwarzer Kardamom – Ausweg aus der Armut?
Wie sich der Wandel in Nepals Agrarsektor auf Frauen und Ungleichheit auswirkt
Agrarexporte mit hoher Wertschöpfung bringen Jobs, höhere Einkommen, mehr Steuereinnahmen und Devisen. So weit der Lehrsatz. Ihm folgen Regierungen und Entwicklungsagenturen, um die Armut im Globalen Süden zu bekämpfen.
Eine weitere Verheissung: Gerade Frauen auf dem Land können sich mit solchen Produkten neue Perspektiven schaffen – sozial und wirtschaftlich.
Doch trifft das wirklich zu? Ein vom CDE, Universität Bern, geleitetes internationales Forschungsteam hat dies am Beispiel der Kardamom-Wertschöpfungskette in Nepal auf den Prüfstand genommen.
«Dank der Kardamomproduktion kennen wir heute den Geschmack von Zucker»
«Früher haben wir Gemüse angebaut. Aber was konnten wir damit verdienen? Einen Penny! Dafür kann man nicht einmal Salz kaufen. Dank der Kardamomproduktion kennen wir heute den Geschmack von Zucker.»
Die Aussage einer 42jährigen Frau der Dalit – der Kaste der Unberührbaren – legt nahe, dass die nepalesische Regierung mit ihrer nationalen Exportstrategie richtig liegt: Das Land mit hochwertigen Agrarprodukten wie Kardamom aus der Zone der ärmsten Staaten der Welt zu bringen.
Ernte des schwarzen Kardamoms in Ilam, Nepal
Wie in den meisten Entwicklungsländern lebt der Grossteil der Bevölkerung – in Nepal sind es mehr als zwei Drittel – von der Landwirtschaft. Traditionell baut sie Grundnahrungsmittel wie Reis, Mais und Getreide an. Diese generieren zwar noch immer über die Hälfte von Nepals Exporteinnahmen, weisen jedoch eine geringe Produktivität und Wertschöpfung auf.
Traditionelle Landwirtschaft mit Reisplantagen
Der Aufstieg des schwarzen Kardamoms
Ganz anders der schwarze Kardamom, auch Nepal-Kardamom genannt, dessen Anbau die Regierung seit mehreren Jahren propagiert. In den letzten zehn Jahren erlebte das Gewürz einen Boom und stellte selbst andere hochwertige, für den Export produzierte Cash-Crops wie Tee, Chili und Ingwer wirtschaftlich locker in den Schatten: 2016 etwa, kurz nach dem Höhepunkt der Preisentwicklung, brachte der schwarze Kardamom den rund 67'000 nepalesischen Haushalten, die ihn anbauten, 45 Millionen USD ein, während es beim Tee nur 18 Millionen USD waren.
Dafür gesorgt haben nicht nur die gesteigerte Produktion, sondern auch deutlich höhere Exportpreise, die jedoch starken Schwankungen unterliegen.
Bauer in Ilam pflanzt neuen Kardamom.
Duft der weiten Welt?
Mit einem Marktanteil von rund 65 Prozent ist Nepal weltweit der grösste Produzent von schwarzem Kardamom. Angebaut wird das Gewürz sonst noch in Bhutan, dem Nordosten Indiens und in Südchina. Die wichtigsten Abnehmer von Nepal-Kardamom sind Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Indien, Bangladesch und Kuwait.
Allerdings lässt Indien die Ausfuhr auf dem Landweg nicht zu – und der Export via China ist wegen des Himalajas unmöglich. Die Folge: 99 Prozent der nepalesischen Kardamom-Exporte gehen nach Indien, das diesen auf die Märkte ausserhalb des Subkontinents bringt – und entsprechend von der Handelsspanne profitiert.
Lagerhalle eines grossen Kardomhändlers in Birtamod südlich von Ilam
Hotspot des schwarzen Kardamoms
Wie aber wirkt sich der Kardamom-Markt auf die Produzenten und vor allem Produzentinnen aus? Um die Frage zu klären, hat sich ein Forschungsteam des CDE sowie dem Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern und dem Nepal Centre for Contemporary Research in Kathmandu nach Ilam aufgemacht, einem Hotspot der Kardamomproduktion in Nepal.
Hauptstrasse nach Ilam
Der Bezirk im östlichsten Zipfel Nepals zählt zu den wirtschaftlich prosperierendsten Regionen des Landes. Bekannt ist er unter anderem für seinen Tee. Seit sich der schwarze Kardamom zu einem der wichtigsten Agrarexport-Produkte gemausert hat, lässt sich ein Trend feststellen: der Übergang von der Subsistenz- zur kommerziellen Landwirtschaft.
Schwarzer Kardamom, rauchig und herb
Die Kapselfrüchte des schwarzen Kardamoms (Amomum subulatum), der zur Familie der Ingwergewächse gehört, werden beispielsweise in der Gewürzmischung Garam Masala verwendet. Der schwarze unterscheidet sich wesentlich vom grünen Kardamom (Elettaria cardamomum), der in Europa bekannt ist. Getrocknet wird er über offenem Feuer, was ihm einen rauchigen Geschmack und ein herbes Aroma verleiht. Die besten Erträge liefert er zwischen drei und zehn Jahren nach seiner Pflanzung.
Schwarzer Kardamom wird über offenem Feuer geräuchert.
Forschungsresultate bestätigen wirtschaftlichen Fortschritt
Die Untersuchungen, welche die Forschenden mit standardisierten Befragungen von über 500 Haushalten sowie zahlreichen Einzelinterviews mit Kardamom-Produzent*innen durchführten, weisen klar in eine Richtung: Der Anbau von Kardamom hat dringend benötigtes Geld an den Lebensunterhalt von Kleinbauernfamilien beigesteuert. Dies drückt sich in Ersparnissen bzw. Investitionen aus – wie Stromanschluss, Mobiltelefon, Solarpanel, sanitäre Anlagen, bessere Kochherde – und in der Möglichkeit, Geld in die eigene oder in die Bildung der Kinder zu stecken.
Ein Zahlenbeispiel: Verfügten 2010 nur 196 Haushalte über ein Mobiltelefon, waren es 2015 deren 391, und im Jahr 2018 mit 542 mehr als ein Handy pro Haushalt.
Schülerinnen in Ilam
Chance für Ausgegrenzte?
Rein auf Einkommen gerichtete Indikatoren sagen jedoch längst nicht alles über das Wohlergehen aus. Gerade in Nepal, wo die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, Kaste oder Geschlecht häufig über Ausgrenzung und Diskriminierung entscheidet, ist die Frage «Wer hat etwas davon?» durchaus brisant.
Denn den Dalit zum Beispiel, die rund 20 Prozent der nepalesischen Bevölkerung ausmachen, gehören zu den wirtschaftlich und sozial am stärksten benachteiligten Gruppen. Sie besitzen kein oder nur wenig Land und sind für ihren Lebensunterhalt in hohem Masse auf Lohnarbeit in der Landwirtschaft angewiesen.
Dalit-Frau transportiert Futtergras.
Anbau ist auch auf kleinen Flächen rentabel
Der Kardamom erweist sich hier als Gamechanger. In den Interviews mit Kardamomproduzent*innen haben die Forschenden denn festgestellt: In Nepal bietet schwarzer Kardamom gerade den Ärmsten eine Chance, ihre wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern.
Einer der Gründe dafür: Die Produktion ist sogar auf kleinen Flächen rentabel, was sie für Klein- und Kleinstbäuer*innen interessant macht. Ein weiterer: In der Kardamomernte steckt sehr viel Handarbeit. Das macht die Dalit zu willkommenen Erntehelfer*innen. Eine 25jährige Dalit schildert es so: «Wir sind Schneider und haben kein Land. Während der Kardamomernte gehe ich jetzt zu meinen Nachbarn arbeiten. Damit verdiene ich mehr als in meinem Beruf. Hätte ich Land, würde ich meinen eigenen Kardamom anbauen. Aber zumindest kann ich dank des Kardamoms den Haushaltsbedarf decken.»
Soziale Stellung der Frauen und Dalit hat sich verbessert
«Weil die Dalit in der angesehenen Kardamomproduktion tätig sind, hat sich auch ihre soziale Stellung verbessert», fasst Projektkoordinatorin Eva Ming zusammen. Das deckt sich fast durchs Band mit den Aussagen von den befragten Dalit. Eine von ihnen gab zu Protokoll: «Früher wurden wir anders behandelt. Heute halten sich nur sehr wenige aus den älteren Generationen noch an die "Unberührbarkeit". Wir arbeiten bei Kardamombauern, erhalten dort Essen und einen Tageslohn. Wir sind auch nicht mehr direktem Hass ausgesetzt.»
Mitglied einer Frauenkooperative
Bemerkenswert an den Forschungsergebnissen ist weiter, dass der kommerzielle Kardamomanbau auch die soziale Stellung der Frauen generell – unabhängig von Kaste und Ethnie – gestärkt hat. So ermöglicht der Kardamomanbau den Frauen, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Zusammen mit dem Entstehen von Frauenkooperativen, welche die Kardamomproduzentinnen unterstützen und bilden, hat das wesentlich zu einem Novum beigetragen: Die Frauen bringen heute auch zuhause ihre Meinung ein, wenn es um die Verwendung des Einkommens, das Sparen und die Ausbildung der Kinder geht.
Allerdings, so schränken die Wissenschaftler*innen ein, haben sich damit die grundlegenden patriarchalen Strukturen nicht geändert, die den Frauen noch immer den Zugang zu Eigentum und Ressourcen verwehren.
Alles gut?
Und dennoch: In diesem konkreten Fall scheint das Modell, mit hochwertigen Agrarprodukten die Entwicklung zu fördern, aufzugehen. Wenigstens im Moment.
Sinkende Preise auf den internationalen Märkten sowie die Abhängigkeit von einem Produkt können die Träume einer besseren Zukunft jedoch rasch wieder zerstören.
Auch die Erfahrung, dass Pflanzenkrankheiten oder Schädlinge grossflächig Kulturen befallen können, sitzt zahlreichen Bäuerinnen und Bauern von Ilam noch in den Knochen: Um die Jahrtausendwende hatten verschiedene Krankheiten dem damaligen Cash-Crop Ingwer so zugesetzt, dass viele diese Kultur aufgaben – und zum Kardamom wechselten.
Pilzbefall in einem Kardamomfeld
Ein Leben ohne dukha
Abgesehen von den äusseren Unwägbarkeiten ist es aber noch etwas anderes, das die Produzent*innen umtreibt: Ihre Vorstellung eines Lebens ohne dukha, was sich am ehesten mit mühevollem oder hartem Leben übersetzen lässt. So sehr sie nämlich überzeugt sind, dass der Wandel hin zur kommerziellen Landwirtschaft ihre dukha verringert hat, so sehr wünschen sie sich für ihre Kinder eine Tätigkeit ausserhalb der Landwirtschaft. Im Vergleich zur Kardamomproduktion stellen sie sich diese als weniger entbehrungsreich vor.
«Ich möchte nicht, dass meine Kinder im Dorf bleiben und dukha haben. Sie sollen in der Stadt leben und studieren. Dort können sie einen Laden eröffnen und das wäre ihr Job, ohne Stress», bringt es ein älterer Dorfbewohner auf den Punkt.
Das Projekt Feminization, agricultural transition and rural employment ( FATE ) hat untersucht, wie sich ländliche Haushalte im Globalen Süden an die Kommerzialisierung und Exportorientierung der Landwirtschaft anpassen. In vier verschiedenen Ländern – Bolivien, Laos, Nepal und Ruanda – wurde erforscht, unter welchen Bedingungen der Übergang von der Selbstversorgung zur Lohnabhängigkeit die Chancen der Landbevölkerung erhöht und ihr Wohlergehen verbessert. Oder umgekehrt den Druck steigert, wenn sie sich von der Selbstversorgung verabschieden.
Das Projekt war Teil des Schweizer r4d-Programms , das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) mitfinanziert wurde. FATE war am Centre for Development and Environment (CDE) und am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterstudien (IZFG) der Universität Bern angesiedelt und wurde Ende Januar 2022 abgeschlossen. Die Fallstudien in Nepal hat das Nepal Centre for Contemporary Research in Kathmandu koordiniert.