Das Wesen der Dinge

Materielle Kultur der petrinischen Epoche

Einführung

Orte und Objekte


Repräsentation und Religion

Die Bestrebungen Peters des Großen, Russland zu einer in Europa anerkannten Großmacht zu formen, fanden Ausprägungen im Alltagsleben, in der Inszenierung des Zaren und der Architektur der auf dem Reißbrett entstandenen neuen Hauptstadt St. Petersburg. Mit Gesetzen erschütterte er das Selbstbewusstsein weiter Teile der christlich-orthodoxen russischen Bevölkerung. Gleichzeitig bezog er religiöser Symbolik in die Legitimation seiner Herrschaft mit ein. Seine weitreichenden Eingriffe in die moskowitische Gesellschaft sorgten für großes Aufsehen in In- und Ausland und bestimmten das Bild Peters des Großen weit über seinen Tod hinaus. Besonders Katharina die Große knüpfte später an diese Transformationsvorstellungen an und nutzte ähnliche Strategien der Inszenierung von Macht.

Literatur zum Weiterlesen:

Schenk, Frithjof Benjamin: Die Stadt als Monument ihres Erbauers, in: Schlögel, Karl (Hg.): Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte, Frankfurt a. M. 2007.

Kivelson, Valerie A. / Neuberger, Joan: Picturing Russia. Explorations in Visual Culture, New Haven 2010.

Kostenpflichtiger Haarwuchs - die Bartsteuer (Alina Maisler)

Religiöse Legitimation weltlicher Macht - Ikone der Heiligen Katharina von 1721 (Tizian Pfaff)

Der Zar trägt Europa - Peters Zeremonienkleidung (Tizian Pfaff)

Öffentlich zur Schau gestellte Frömmigkeit mit Hintergedanken - die Wetterfahne der Peter-und-Paul-Kathedrale (Daniel Wizemann)


Wissenschaft und Erforschung

Die petrinische Epoche steht für einen Paradigmenwechsel der russischen Geschichte. So sammelte der noch junge Zar während seiner großen Europareise Eindrücke eines scheinbar technologisch und wissenschaftlich weit überlegenen Westeuropas. Auch wenn Peter ein eher instrumentelles Verständnis westlicher Errungenschaften pflegte, er sich also weniger mit politisch-theoretischen Ideen der frühen Aufklärung identifizierte, als technischen und administrativen Innovationen, die Russland modern und autark machen könnten, bleibt der Bezug auf Westeuropa als Schlüssel für die Zukunft des Imperiums zentral. Die Annäherung Russlands an das von ihm auserkorene Ideal verstehen wir als Europäisierung. Eben dieser Pfad der Europäisierung ist es, der in den folgenden Texten unter dem Fokuspunkt von Wissenschaft und Erforschung näher beleuchtet werden soll. 

Das Wirken von ausländischen Experten in Russland (Malte Hoge)

St. Petersburg, 1703 von Peter dem Großen gegründet, verkörpert in seinem über dreihundertjährigem Bestehen eines der zwei kulturellen Herzen Russlands. Beschrieben als „erfundene Stadt“ ist es besonders evident, das Wirken ausländischer Experten in und um Russland mit einem Fokus auf St. Petersburg zu beleuchten. In keiner anderen Stadt des Imperiums spielten Ingenieure, Techniker, Architekten und Künstler aus Westeuropa eine so prominente Rolle wie im rasanten Aufbauprozess der Stadt, mit der der Zar das "Fenster nach Westen" aufstoßen wollte.

Wissenschaftliche Exponate aus dem Westen (Marcel Pilhun)

Eines der Ziele Peters des Großen während der "Großen Gesandtschaft" 1697/1698 war es, neue wissenschaftliche Ideen und westliche Erfindungen nach Russland zu importieren. Sein schon in Kindertagen zu beobachtendes Interesse für das Neue entwickelte sich während der prägenden Reise durch Europa weiter. Die neuen, interessanten und komplizierten Instrumente der blühenden westlichen Wissenschaft stellten für den Zaren einen wichtigen Baustein dar, um die moderne Welt zu verstehen und zu nutzen.


Alltag und Konsum

Die Modernisierungsprozesse Peters hinterließen deutliche Spuren im russischen Alltag, beeinflussten Formen des Konsums und schufen gänzlich neue. Neben einem erstmals etablierten Zeitungswesen sollte sich auch die Mode in Russland vollkommen wandeln. Konsumgüter, wie beispielsweise der Tabak durften plötzlich konsumiert werden. Dieser Wandel war noch wenige Jahre zuvor undenkbar gewesen. Der Zar forcierte eine Verwestlichung Russlands, um dieses zu stärken und dem modernen Europa ebenbürtig zu machen.

Weiterführende Lektüre:

„Information and Efficiency: Russian Newspapers, ca. 1700-1850" von Alison K. Smith

„The Empire´s New Clothes“ von Christine Ruane.

Das russische Zeitungswesen - Die Vedomosti (Elisa Konrat)

Eine Berichterstattung über laufende Ereignisse gab es vor Peter im engeren Sinne nicht. Die ersten Druckmaschinen Russlands waren in kirchlichem Besitz und somit gleichsam ein Herrschaftsinstrument für politische Kontrolle. Mit Peter dem Großen änderte sich das.

Von der russischen zur französisch/deutschen Mode - Ein Kaftan Peters I. (Karolin Burger)

Die Reformen des Zaren sorgten auch abseits von Politik und Militär für große Erschütterungen. Kaum war Peter der Große von seiner Europareise 1698 zurückgekehrt, versuchte er alles Altrussische aus dem Zarenreich zu verbannen und Russland am westeuropäischen Vorbild orientiert moderner zu gestalten.

Militär und Marine unter Peter I.

Schon zur von Peters Vater Alexei I. war die Europäisierung des russischen Heeres weit vorangeschritten. Jedoch muss hierbei zwischen der Europäisierung und Modernisierung unterschieden werden, denn selbst die europäisierten Truppenteile entsprachen unter Peters Vorgängern nicht dem zeitgenössischen westeuropäischen Standard. Der Modernisierungsprozess wurde vor allem durch die „Große Gesandtschaft“ und den „Großen Nordischen Krieg“ vorangetrieben. Peter I. forcierte massiv den Transfer von militärischem und technischem Wissen und warb ausländische Ingenieure und Offiziere für Militär und Marine an. Die Marine selbst spielte vor Peters Regentschaft (nicht zuletzt durch den fehlenden Zugang zu Meeren) kaum eine Rolle und deren Entwicklung wurde erst durch ihn selbst vorangetrieben. Mit Blick auf die damalige Lage Russlands ist dies auch verständlich: nur der Hafenort Archangelsk war unter russischer Kontrolle, jedoch nur wenige Sommermonate eisfrei und nutzbar für die Schifffahrt. Der Traum Peters war eine russische Flotte, die mit den anderen Militärmächten konkurrieren und auch den Handel Russlands ankurbeln konnte. Die Marine ist auch eng mit der Entstehung der neuen Hauptstadt St. Petersburg verbunden, denn dort wurde der Hauptstützpunkt der neuen Baltischen Flotte errichtet. Wenn allerdings von diesen maritimen Visionen Peters gesprochen wird ist zu beachten, dass sein Traum nur bedingt in Erfüllung ging. Auch nach dem Aufbau der russischen Flotte blieben England, Frankreich und die Niederlande international die dominierenden Seemächte.