Wohnen in Wien: Renovieren, Sanieren, Kreislaufwirtschaft?
Wie entwickelt sich derzeit der Wiener Wohnungsmarkt im Hinblick auf Maßnahmen eines nachhaltigen Wohnbaus?
Wie entwickelt sich derzeit der Wiener Wohnungsmarkt im Hinblick auf Maßnahmen eines nachhaltigen Wohnbaus?
Diese Frage – und noch zahlreiche mehr – behandelten 22 Geographie-Studierende während der 3-tägigen Lehrveranstaltung (2024S 290057-1) Humangeographische Exkursion: Wohnen in Wien: Renovieren, Sanieren, Kreislaufwirtschaft? an der Universität Wien unter der Leitung von Mag. Dr. Yvonne Franz.
Die Exkursion fand am 18., 25. und 29.04.2024 in Wien statt. In diesem Rahmen wurden wichtige Akteur*innen und zukunftsweisende Wohnprojekte rund um den Wiener Wohnungsmarkt besucht. An den zehn Haltepunkten standen zusätzlich auch Feldforschung in Kleingruppen und der Besuch des neuen wien.museums auf dem Programm. Das neu gewonnene Wissen umfasst Einblicke in die historische Entwicklung desWiener Wohnungsmarktes, in aktuelle Herausforderungen bis hin zu technischen Details im Kontext von Sanierung und nachhaltigem Bauen.
Übersichtskarte mit den Exkursionshaltepunkten an den drei Tagen. Blau: Tag 1. Braun: Tag 2. Grün: Tag 3.
Der fast dreistündige Vortrag am ersten Tag eignete sich durch seine hohe Informationsdichte als optimaler Einstieg in das Exkursionstema. Die Studierenden wurden hierbei auf einen gemeinsamen Wissensstand gebracht, der Fokus auf die Situation in der Stadt Wien erlaubte bereits nach diesem Vortrag einen gezielteren und kritischeren Blick auf die Sanierungsprojekte im Stadtgebiet.
Da der CO 2 Ausstoß im Wohnsektor ein Großteil der gesamt Emissionen ausmacht, gilt die Klimagerechte Sanierung als ein wichtiger Hebel und große Herausforderung für die Zukunft.
Ein spannender und umfangreicher Vortrag, ausgehend von den rechtlichen Rahmenbedingungen für Bestandssanierungen bis hin zu technischen Details und Beispiellösungen sowie Erfahrungen aus abgeschlossenen Wohnprojekten.
Dieses Projekt einer privaten Baugruppe mit sehr individuellen Vorstellungen vom innerstädtischen Wohnen wurde zum Teil mit den Mitteln aus dem Klima- und Energiefonds gefördert. Ganz nach dem Motto: Arbeiten und Wohnen.
Mit kreativen Lösungen wurde versucht, Wohnen und Arbeiten unter einem Dach zu vereinen. Wie neben alldem noch ausgedehnte Bereiche für gemeinsamen Austausch, lebhaftes Zusammenleben und kreatives Arbeiten geschaffen wurden, erfuhren die Student*innen auf einer ausgedehnten Führung durch viele Bereiche des neuen Wohnbaus im Norden des neuen Wiener Nordbahnhofsviertels.
Das Haus erinnert mich etwas an ein Kreuzfahrtschiff, das gar nicht mehr verlassen werden muss.
Bahninfrastruktur weicht Stadt: Der beeindruckende Unterschied auf den beiden Luftbildaufnahmen rechts zeigt die Entwicklung des Nordbahnhofsviertels im zweiten Wiener Bezirk in den letzten zehn Jahren.
"Das Baugruppen-Gebäude hat als eines der wenigen Häuser im Quartier einen offenen und lebendigen Charakter, der durch viele Flächen entsteht, auf denen sich öffentliches und privates Leben vermischt." - Lilia Jantzen, Studierende Master Raumforschung und Raumordnung
Auf einer kleinen Tour durch das Viertel sind einigen Student*innen das Fehlen von Gehsteigmarkierungen und Blindeninfrastruktur aufgefallen. Ferner ist die spärliche Verteilung von Geschäften und Lokalen bemerkt worden. Dennoch wirkt das Viertel durch die vielen Aufenthaltsbereiche und Sport bzw. Spieleinrichtungen lebendig und modern.
Es ist bemerkenswert, wie sehr sich die Lebensqualität in einem Grätzl durch ein einziges einladendes und offen gestaltetes Gebäude verändern kann.
Die denkmalgeschützte Zuschauer*innentribühne der Pferderennbahn im grünen Prater wurde in ein nachhaltiges Bürogebäude umgebaut und durch einen Westseitigen Anbau ergänzt. (Blickrichtung Osten)
In der Tribüne im neuen und schönen Stadtquartier "ViertelZwei" wurden zwei Vorträge über die Akutheit der Klimakrise und die daraus resultierende Notwendigkeit für Veränderungen in der Baubranche besucht.
Die Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich für die Etablierung der Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche einsetzt. Sie zertifiziert Gebäude mit hohem ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Mehrwert. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Zertifizierung von nachhaltigen Gebäuden – sogenannten Blue Buildings. Diese Gebäude berücksichtigen über den gesamten Lebenszyklus hinweg alle drei Säulen der Nachhaltigkeit: Ökonomie, Ökologie und soziokulturelle Aspekte. Die ÖGNI wurde 2009 gegründet und ist Kooperationspartner der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen).
Flexibilität ist eine der wichtigsten Funktionen der Nachhaltigkeit - Herbert Hetzel, CEO Beyond Carbon Energy
Das Unternehmen Beyond Carbon Energy konzipiert, plant, realisiert, finanziert und betreibt CO2-freie Wärme- und Kälteversorgung für Bestands- und Neubauimmobilien. Sie nutzt dabei regenerative Ressourcen am Standort und trägt so zur Dekarbonisierung und zur Beschleunigung der Energiewende bei.
Nach diesen Vorträgen erwartete die Gruppe ein selbstgeführter Spaziergang durch das Planviertel im Wiener Prater. Nachfolgend teilen wir einige Reaktionen und Eindrücke der Studierenden.
Eindrücke rund um die Tribüne 2 am Grünen Prater. Vorzeigeprojekt von Beyond Carbon Energy. Aufnahmen: Pit Back
Die neugeschaffenen Wohnungen gehören dem unregulierten Wohnsegment an und sind dementsprechend sehr hochpreisig – sozialen Wohnraum findet man hier nicht. Daneben gibt es Gebäude mit Nachnutzungskonzepten, die trotz Denkmalschutz aufwändig saniert wurden.
Beeindruckende Architektur und viele Freiflächen im ViertelZwei. Aufnahmen: Pit Back
Ein Besuch der Dauerausstellung im Wien Museum am Karlsplatz ermöglichte eine Einordnung der unterschiedlichen Bauphasen des Bestandsbaus in Wien in die unterschiedlichen historischen, soziokulturellen und politischen Perioden der Stadtgeschichte.
"Der Karlheinz-Hora-Hof, also Gemeindebau NEU der GESIBA steht einem Gemeindebau alt von Wiener wohnen gegenüber." - Lilia Jantzen, Studierende Master Raumforschung und Raumordnung
Der Kontrast zwischen alt und neu ist hier sehr deutlich. Der neue Gemeindebau bietet zwar viele Freiflächen, wirkt aber sehr reguliert durch vordefinierte Nutzungsbereiche. Der dagegen fast schon brutalistisch wirkende Bestandsbau umschließt mit seinen senkrechten Fassaden eigene kleine Parkanlagen mit Grünflächen und hohen Bäumen.
"Die Anforderungen an den Gemeindebau sind dynamisch." - Mitarbeiterin GESIBA
"Während die Architektur des neuen Teils den alten Bau mit einbezieht, gibt es an sich nur wenig Vernetzung zwischen den Bewohner*innen des Alt- und Neubaus, sie haben jeweils ihre eigenen Räume und Zugehörigkeiten" - Josefine Grabner, Studierende Master Raumforschung und Raumordnung
"Während in vielbefahrenen Straßen der Großteil der Fenster neu und saniert wirkten, war das in den Nebenstraßen häufig nicht der Fall. Auch die Außenfassaden waren meist unsaniert; auf dem Foto ist eine unsanierte (links) und sanierte (rechts) Gebäudefassade zu sehen." - Lea Reitinger, Studierende Master Raumforschung und Raumordnung
Dieser Haltepunkt mitten in der Bestandsstadt eignete sich hervorragend für Feldforschung und eine Reflexion zu Anzeichen von nachhaltigen Baumaßnahmen im 16. Bezirk. Die Wahrnehmung von isolierten Fassaden und modernen Fenstern sowie anderen Elementen in Kleingruppen quer durchs Grätzl war dabei das zentrale Element der Erkenntnisgewinnung.
"Auch die Umstellung auf Erneuerbare Energien gestaltet sich in der Bestandsstadt als schwierig, da die meisten Gebäude mit Gas versorgt werden und die Eigentumsstrukturen Veränderungen erschweren." - Lea Reitinger, Studierende Master Raumforschung und Raumordnung
Aus alt mach neu, plus mehrere hundert Quadratmeter Wohnfläche durch Dachgeschossaufbau. Nach 7 Jahren Planungs- und Bauzeit ist dieses Grundsanierte Zinshaus trotz vieler Hürden fertiggestellt worden. Viel mehr Wohnqualität dank einer Isolierung der Außenfassade und moderner Verglasung sowie deutlich mehr Wohnraum durch einen dreistöckigen Dachgeschossausbau bieten ein luxuriöses Wohngefühl im Wiener Stil.
Das Gebäude hat das Potential von Dachgeschossausbauten deutlich gemacht. Der herrliche Ausblick inklusive. Zwischen den Zeilen des Vortrages der Bauleitung war jedoch herauszulesen, dass solche Sanierungskonzepte nur mit einer deutlichen Steigerung des Mietpreises rentabel bleiben.
Alles in allem ermöglichte die Humangeographische Exkursion: Wohnen in Wien: Renovieren, Sanieren, Kreislaufwirtschaft?, im Sommersemester 2024 geleitet von Dr. Mag. Yvonne Franz allen Teilnehmer*innen einen sehr umfangreichen und vertieften Einblick in den Wiener Wohnungsmarkt. Die Expert*innen-Vorträge und besonders die moderierten Anschlussdiskussionen eröffneten einen Diskurs zwischen Student*innen der Geographie und wichtigen Akteur*innen der privaten Immobilienentwicklung, Mitarbeiter*innen der Verwaltung der Stadt Wien und Vertreter*innen von gemeinnützigen Organisationen. Diese Diskussionen führten zu neuen Erkenntnissen, die während eigenständiger Feldforschungen auf andere Standorte in Wien übertragen wurden. Damit schuf die 3-tägige Exkursion ein tiefergehendes und interdisziplinäres Verständnis des Wiener Wohnungsmarktes sowie des (eigenen) Studienortes.
Pit Back, Studierender Master Kartographie und Geoinformation
Vanessa Mix, Studierende Master Kartographie und Geoinformation