Spurensuche Saaleschlamm
Wissen und Unwissen über den Schlamm in der Saale
Start der Spurensuche
Wir sind sechs Studierende des Masters International Area Studies - Global Change Geography und haben im Rahmen eines Moduls zum Thema „Toxische Landschaften“ versucht, Umweltveränderung an der Saale bei der Stadt Halle zu ethnographieren und kartographisch darzustellen. Dabei haben wir uns insbesondere auf den Saaleschlamm fokussiert und das Wissen und Unwissen über die darin gebundenen Altlasten untersucht. Die verschiedenen Perspektiven auf die allgegenwärtigen, toxischen Hinterlassenschaften im Saaleschlamm von unterschiedlichen Akteur*innen haben wir mithilfe von Interviews zu diesem Thema eingefangen. Anstelle einer konkreten Fragestellung nachzugehen, war für unser Forschungsvorhaben von zentraler Bedeutung, eben dieses (Nicht-)Wissen über den Saaleschlamm zu verorten und miteinander in Verbindung zu setzen. Wir beschäftigten uns somit insbesondere damit, welche Institution oder Privatperson etwas über den Saaleschlamm weiß und welche Formen des Wissens über diesen existieren. Unsere Ergebnisse sind in der anschließenden StoryMap festgehalten.
Unsere methodische Herangehensweise basiert auf einem interdisziplinären Forschungsansatz, da aus den beiden Disziplinen Ethnologie und Geographie sowohl die Methodik der Ethnographie als auch der Kartographie angewendet werden.
Nach einer ausgiebigen Literaturrecherche, welche über die im Seminar behandelten Texte hinausging, fand eine qualitative Datenerhebung bezüglich des Wissens über den Saaleschlamm statt. Dafür teilten wir Wissen sowohl in Alltagswissen als auch in spezifisches Wissen ein. Ersteres stand für die Wissensgenerierung durch Erlebnisse und persönliche Erfahrungen aus dem alltäglichen Leben. Letzteres hingegen beschreibt dasjenige Wissen, welches aus einer tieferen Auseinandersetzung mit der Thematik aus einer bestimmten Perspektive, sei es beruflich oder aus Eigeninteresse, resultiert. Um den gegenwärtigen Wissensstand einzufangen, wurden zusätzlich zu vereinbarten Interviews mit beispielsweise Ämtern, Politiker*innen, Forscher*innen und Aktivist*innen auch Spontaninterviews an und um die Saale durchgeführt. Diese wurden von uns anschließend kartographisch ausgearbeitet. Mithilfe der Kartographie sollte somit eine möglichst transparente Darstellung des Erlebten erfolgen.
Nach Rademacher (2011: 16f.) wird durch den Einbezug der Ethnographie in Hinblick auf den Saaleschlamm die soziale Dimension der Umweltproblematik in den Fokus gelegt. Somit ist es möglich, die unterschiedlichen Perspektiven der einzelnen Akteur*innen auf dieses Problemfeld und deren (Un)wissenheit zu beleuchten. Gleichzeitig ist unsere Forschung in der politischen Geographie der Gewalt und der Umweltgerechtigkeit zu verorten, da die Belastung des Saaleschlamms mit Altlasten als Form der Gewalt angesehen werden kann (Davies 2019: 409), welche aufgrund der langen Wirkungsdauer und (Im-)materialität schwer zu fassen ist. Diese sogenannte „Slow Violence“ (ebd.) wirft anstelle der vollständigen Unsichtbarkeit des Umweltproblems die Frage auf, für wen das Problem unsichtbar ist, für wen nicht? Mithilfe unseres experimentellen Forschungsdesigns wird versucht, der Greifbarmachung dieser Toxizität nachzugehen. In Anlehnung an Fortun (2012) verwenden wir die Methodik der Ethnographie des Spätindustrialismus, indem unser Forschungsdesign experimentell gestaltet ist, durch Ergebnisoffenheit und Kreativität charakterisiert ist und das Ziel hat, aktuelle Realitäten darzustellen (ebd.: 452f.) und neue Wissensformen hervorzubringen (ebd.: 458).
Geschichtlicher Hintergrund
Industrielle Altlasten in ostdeutschen Gewässern: Das Beispiel Saale
In den 1990er Jahren galten einige Flüsse in Ostdeutschland als „ökologisch zerstört“ (MDR 2022). Auch die Saale lag in der „ökologischen Krisenregion“ (Winde 1998: 3) Halle-Merseburg-Bitterfeld. Der Ballungsraum Halle-Merseburg gehörte zu den am stärksten ökologisch belasteten Räumen der ehemaligen DDR. Die Saale selbst ist ein großer Nebenfluss der Elbe mit einer langen Industrie- u. Bergbaugeschichte. Sie ist 413 km lang und durchfließt die Bundesländer Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Nach Claus et al. 2015 spielt sie nach wie vor eine besondere Rolle für die Schadstoffsituation der gesamten Elbe, da sie die Hauptquelle für Schadstoffe im Elbegebiet darstellt. Dies sei primär auf frühere industrielle und bergbauliche Aktivitäten zurückzuführen (ebd.: 305).
Untersuchungsgebiet Saaleaue
Die Saaleaue ist ein Stadtteil im Westen der Stadt Halle (Saale). Dieser wird hauptsächlich durch die Stromsaale mit ihren dazugehörigen Nebenarmen durchflossen. Dazu gehören der Mühlgraben, die Wilde Saale, die Gerbersaale und die Elisabethsaale.
Übersicht Untersuchungsgebiet
Untersuchungsgegenstand Saaleschlamm
Frank Winde hat bereits in den 1990er-Jahren als einer von wenigen die Schlammablagerungen und deren Belastung in den Nebenarmen der Saale untersucht. Als besonderes Problem im Untersuchungsraum städtische Saaleaue hebt er dabei die in den Nebenarmen lagernden Flussschlämme hervor, die zum Teil sehr hohe Schwermetallgehalte aufweisen und lange Zeit als industrielle Altlasten galten (Winde 1998: 1). Die vor allem in den Nebenarmen Wilde Saale und Mühlgraben auftretenden feinkörnigen, teilweise organischen hoch belasteten und schwermetallhaltigen Sedimente bezeichnet Winde auch als „Schlämme“ bzw. „Schlammablagerungen“.
Als „Hauptschlammverursacher“ nennt Winde das ehemals flussaufwärts gelegene Papier- u. Zellstoffwerk Merseburg, sowie die vormaligen Chemischen Werke in Leuna und Buna ebenso wie die kommunalen Kläranlagen der Städte Merseburg, Weißenfels und Halle (ebd.: 3). Claus et al. (2015) heben ebenfalls hervor, dass die schadstoffbelasteten Direkteinleitungen in die Saale vor 1990 primär aus der chemischen Papier- und Zellstoffindustrie, aus der Textil- und Lederindustrie sowie aus den kommunalen Abwässern der größeren Anrainerstädte stammen (306). Eine Projektstudie aus dem Jahr 1992, führt neben den oben genannten Schadstoffquellen, auch “Bergbausümpfungswässer aus dem Tagebau Merseburg-Ost, sowie “organische Belastungen durch Abwässer der braunkohleverarbeitenden Industrie” als weitere potenzielle Schadstoffaustrittsquellen auf (ITW Ingenieurberatung 1992 zit. in. ARCADIS 2014: 17). Aufgrund von Betriebsstilllegungen der Werke und dem Einsatz verbesserter Klärtechnik verzeichnet Winde einen signifikanten Rückgang der industriellen Schadstoffbelastung in der Saale nach 1990 (ebd.).
Forschungsstand
Einen grundsätzlichen Rückgang der Schadstoffbelastung nach 1990 stellen auch Claus et al. (2015) fest (309). Jedoch weisen sie darauf hin, dass Umweltqualitätsnormen und einschlägige Richtwerte auch im Untersuchungszeitraum 2010-2013 nur selten erreicht werden (ebd.). Weitere aktuelle wissenschaftliche Berichte, die im Zusammenhang mit dem Saaleschlamm stehen, stammen aus den Jahren 2012 und 2014. In beiden Fällen hat der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt Unternehmen mit einer Bestandsaufnahme bzw. Risikobewertung der Sedimentablagerungen in der Saale beauftragt.
Schlammmächtigkeiten im Bereich des Mühlgrabens (Quelle: G.E.O.S. 2012: Anlage 2.1 - Karte Probenahme Gewässerbereich Halle)
Hintergrund für den im Jahr 2012 erschienen Bericht „Bestandsaufnahme belasteter Altsedimente in ausgewählten Gewässern Sachsen-Anhalts Phase 1: Grundlagenermittlung und Sedimentmächtigkeitsbestimmungen“ stellt der große Umfang an historisch kontaminierten Sedimenten in den Flussgebieten Sachsen-Anhalts dar (ebd.: 6). Darüber hinaus heißt es „Vorhandene Belastungen sind in erster Linie anthropogene Schadstoffe, wie organische Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle, die sich insbesondere in Weichsedimenten finden, welche als das „Gedächtnis des Gewässers“ ein Spiegelbild oft jahrzehntelanger, industrieller Einleitungen aus dem jeweiligen Gewässereinzugsgebiet darstellen. Das potenzielle Risiko für das gesamte Flusseinzugsgebiet einschließlich der Nordsee besteht in einer Remobilisierung mit einer sukzessiven Verlagerung der Schadstoffe flussabwärts in Richtung Nordsee“ (ebd.).
In Bezug auf die Saale wird aufgezeigt, dass es durch die zahlreichen Altarme und Mühlgräben, die eine geringere Fließgeschwindigkeit aufweisen, verstärkt zu Sedimentation von Schwebfracht und feinkörnigen Sedimenten kommt. Diese bergen ein verstärktes Remobilisierungspotential der Schadstoffe bei Hochwasserereignissen (ebd.: 19). Das Remobilisierungspotential hängt von mehreren Faktoren ab, wobei die größte Gefahr in zyklischen Verspülungen an bewirtschafteten Schleusen gesehen wird. Die Schlammablagerungen außerhalb dieser Bereiche werden aufgrund ihrer Mächtigkeit als größtenteils stationär angesehen und bergen daher im Ist-Zustand ein geringeres Risiko für eine Remobilisierung (ebd.: 40-41).
Der 2014 erschienene Abschlussbericht „Projekt: Umsetzung Sedimentmanagement-Konzept Sachsen-Anhalt - Seitenstruktur Saale Vorplanung zur Sicherung / Minderung / Beseitigung Altsedimentdepot Mühlgraben Halle“ baut auf den Ergebnissen der Bestandsaufnahme von 2012 auf und widmet sich den Schadstoffquellen im Mühlgraben. Das Ziel ist es eine Entscheidungsgrundlage für den weiteren Umgang mit den Altsedimentdepots und eine Vorplanung zur Ermittlung von geeigneten Maßnahmen zur Sicherung, Beseitigung und Minderung eben dieser anzufertigen (ebd.: 6).
Übersicht der durchschnittlichen Konzentrationen ausgewählter Schwermetalle seit 1991 (Quelle: ARCADIS 2014:65)
Nach einer Darstellung vorangegangener Forschungsergebnisse seit 1991, wird in der vorliegenden Abschlussdokumentation die Entwicklung der durchschnittlichen Konzentrationen ausgewählter Schwermetalle miteinander verglichen. Auffällig sind dabei die schwankenden Werte, insbesondere bei Blei (Pb), Kupfer (Cu), Chrom (Cr), Cadmium (Cd) und Quecksilber (Hg). Während Zink (Zn) mit einer Ausnahme in 1994 ein gleichbleibendes Konzentrationsniveau aufweist und Nickel (Ni) verglichen mit 1991 rückläufig ist (ebd.: 65).
(Alt-)Sedimente besitzen das Potenzial, verschiedene Schadstoffe abhängig von der Gewässersituation und dem hydrologischen Verlauf dauerhaft oder vorübergehend zu speichern und wieder freizusetzen (Remobilisation). Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, dass das Schadstoffinventar, das im Feinkornbereich (<63 μm) der Sedimente ermittelt wird, eine grundsätzlich relevante Schadstoffquelle darstellt. Diese kann bei entsprechender Remobilisierung infolge mechanischer Belastungen wie veränderte Fließdynamik oder externe Eingriffe aktiviert werden. Dadurch, dass alle analysierten Stoffgruppen an fast allen Probeentnahmestellen die Grenzwerte überschreiten, stellen sie im Falle einer Remobilisierung ein Gefährdungspotential für die unterstromigen Gewässerabschnitte und die Vorflut dar (ebd.: 69). Ausgehend von dieser Gefahreneinschätzung wird empfohlen einzelne Schlammaufkommen im Mühlgraben mittels Schwimmgreifer-Technik zu beräumen (ebd.: 96-97). Diesem Ratschlag wurde allerdings nicht nachgegangen.
Perspektiven aus der Geoökologie
Zwei Geoökologen eröffnen eine weitere Perspektive auf den Saaleschlamm. Sie verweisen uns auf die Dissertation von Frank Winde aus dem Jahr 1998, die auch wir als eine unserer Grundlagen hinsichtlich der geschichtlichen Einordnung der Altlasten gewählt haben.
Auf Nachfrage über die Aktualität der Veröffentlichung erklärten uns die beiden, dass sich seitdem im Fluss nichts an den Altlasten verändert habe. Die Schwermetalle seien im Schlamm gebunden und nicht mobil. Sie befinden sich noch immer in Flusssedimenten, allerdings in den unteren Schichten und vor allem den Altarmen der Saale. Solange dieser Schlamm nicht berührt wird, geht auch keine Gefahr von den Altlasten aus. Vorbeifahrende Schiffe können allerdings durch das Aufwirbeln durch die Strömung bereits Schadstoffe hervorbringen. Weitaus größere Mengen Schlamm könnten durch bauliche Maßnahmen und Hochwasser aufgewirbelt werden. Flussabwärts gelegene Bereiche haben dann mit den erhöhten Schadstoffmengen und deren Folgen wie Fischsterben zu rechnen.
Sanierungsarbeiten und das Abtragen von Saaleschlamm schätzen die Wissenschaftler als sehr kostenintensiv ein. Sie gehen darum davon aus, dass dies der Grund für die Stadt ist, solche Sanierungsvorhaben nicht zu planen und zu realisieren. Die Geoökologen mutmaßen, dass die Behörden im Hinblick auf den belasteten Schlamm eher auf ein neues Hochwasser warten, welches das Problem löst, oder zumindest durch Remobilisierung flussabwärts verschiebt.
Die beiden erklären weiterhin, dass die Schwermetalle keine Rolle mehr in der aktuellen Forschung spielen, da es mittlerweile andere Probleme in der Saale gibt, wie zum Beispiel Mikroplastik.
Zuständigkeit für Monitoring und Sanierung
Die Zuständigkeit des Monitorings und der Zustandsbestimmung der Saale liegt beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt. Geregelt ist dies über die Berichtspflichten gemäß EG-Wasserrahmenrichtlinie (EG WRRL, § 27 WHG, OGewV 2016). Zudem besteht an den Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt über die Flussgemeinschaft Elbe die Anforderung ein Sedimentmanagementkonzept zum Erreichen der Ziele aus der Wasserrahmenrichtlinie zu erstellen (FGG Elbe 2021). Auch das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Elbe mit der Außenstelle in Merseburg ist im Hinblick auf Schlamm mit verantwortlich für den Saaleabschnitt, der durch Halle fließt. Sanierungsaufgaben und das Abtragen und Ausbaggern von Schlamm liegen mit in der Verantwortlichkeit dieses Amts, um so die Befahrbarkeit der Saale als Wasserstraße zu gewährleisten (WSA Elbe 2023).
Vom Natur- zum Problemstoff
Der Saaleschlamm als Baggergut
In einem Dokument der Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe (ARGE ELBE) aus dem Jahr 1996 wird der Begriff „Baggergut“ wie folgt definiert (1):
Als Baggergut wird Aushubmaterial bezeichnet, das im Rahmen von Unterhaltungs-, Neu-, und Ausbaumaßnahmen an den Gewässern anfällt. Es handelt sich zum überwiegenden Anteil um Gewässersediment sowie um Böden aus dem Umland des Gewässers.
Wie wird der Naturstoff "Schlamm" zum Problemstoff "Baggergut"?
Dieser Transformationsprozess geschieht durch das Einleiten oder Einbringen von Schadstoffen ins Gewässer. Die Schadstoffe reichern sich dabei im feinkörnigen Sediment an und unterliegen einer Vielzahl von chemischen, physikalischen und biologischen Einflüssen (ARGE ELBE 1996: 1). Charakteristisch für das Baggergut ist hierbei die große Menge, sowie eine Vergleichmäßigung (d.h. eine geringer werdende Belastung infolge der Vermischung auf dem Fließweg) und eine Mischung von belastetem und unbelastetem Baggergut (ebd.). Dies wiederum erschwert die gezielte Behandlung und führt zur Existenz sogenannter „Hotspots“ mit einer hohen und spezifischen Belastung (ebd.).
Kurzum: Als Baggergut wird in der Regel gebaggertes Sediment bezeichnet, das wiederum erst durch die Schadstoffbelastung zu einem Entsorgungsproblem wird (vgl. ARGE ELBE 1996: 4; Winde 1998: 3).
Wohin mit dem Saaleschlamm?
Laut Claus et al. 2015 gibt es für die Jahre 1994-2012 Zahlen zu den Baggergutmengen aus der Saale. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf Weise (2011): So wurden in diesem Zeitraum insgesamt ca. 194.000 m3 (252.000t) Schlamm aus der Saale entnommen (2015: 311).
Wir wenden uns mit unserer Frage zum aktuellen Stand der Sedimentbaggerungen an den Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt (LHW). Dort werden wir an den zuständigen Bereich des Wasser- und Schifffahrtsamts Elbe (WSA Elbe) verwiesen. Telefonisch bekommen wir dort die Auskunft, dass aktuell der Schlamm in der Saale so wenig wie möglich angefasst wird. Grund dafür ist der Umstand, dass die Entsorgung der Sedimente sehr teuer sei, sodass die Strategie “liegen lassen” derzeit favorisiert werde. Das letzte wirkliche Ausbaggern hätte im Jahr 2004 als Grundberäumung aller Schleusen an der Saale stattgefunden, um die Saale weiterhin schiffbar zu halten. Wegen der immensen Kosten sei dies aber seit 20 Jahren nicht mehr passiert. Für die Arbeiten an den Schleusen wird mittlerweile der entsprechende Bereich trockengelegt und die Bereiche, an denen gearbeitet wird, werden per Hand von Sedimenten befreit. Das heißt, es erfolgt ein manuelles Abtragen kleiner Mengen. Die kleinen Mengen an Schlamm müssen aber anschließend auch deponiert werden. Zuständig sei hier der jeweilige Entsorger. Dieser kümmere sich darum, auf welche genaue Deponie die abgetragenen Sedimente kommen. Für weitere Informationen bezüglich der Deponien wurden wir auf die zuständigen Entsorger verwiesen.
Gut zu wissen: Die Frage nach der Behandlung sowie des Umgang mit belastetem Baggergut ist auch ein internationales Problem. Hierzu existiert eine Vielzahl an Lösungsansätzen, wobei der Ansatz, Baggergut als Rohstoff und nicht (nur) als Abfall zu sehen, zunehmend an Bedeutung gewinnt (ARGE ELBE 1996: 4).
Alltagswissen
Die nachstehende Karte verortet spontan geführte Kurzinterviews zum Saaleschlamm. Es wurden willkürlich Personen angesprochen die sich meist um die Saale aufhielten. Die Interviewten wurden nach ihren Assoziationen und Verbindungen zur Saale, sowie zusätzlich häufig auch explizit zu Kenntnissen über den Schlamm befragt.
Jede Markierung auf der Karte veranschaulicht ein geführtes Interview. Bei Auswahl der Markierungen erscheint ein Pop-up Fenster mit Informationen zum Interview.
Karte Alltagswissen Saaleschlamm *fiktive Namensgebung
Spezifisches Wissen
Gespräch über die Saale und ihren Schlamm
Wir treffen ein Mitglied der Wasserwacht nach seinem Einsatz beim 17. Saaleschwimmen noch am Zielort des Schwimmens. Er erklärt sich für ein spontanes, kurzes Interview zur Saale bereit.
“Ich kenne die Saale gut, seit über 20 Jahren”, beginnt der Mitarbeiter der Wasserwacht Halle, auf die Frage nach dem eigenen Bezug und allgemeinen Assoziationen zur Saale zu erzählen.
Der Wasserrettungsverein in Halle ist ein Ortsverein der Wasserwacht des deutschen roten Kreuzes (Wasserrettungsdienst Halle (Saale) e.V o.J. a: o.S.) und betätigt sich neben der Schwimmausbildung unter anderem auch bei der wasserrettungsdienstlichen Absicherung von Veranstaltungen, wie dem Saaleschwimmen (Wasserrettungsdienst Halle (Saale) e.V o.J. a und Wasserrettungsdienst Halle (Saale) e.V o.J. b: o.S.). Neben seiner Position im Verein arbeitet er im Bereich der Unterwasserarchäologie beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Das Landesamt ist übergeordnet, vor allem für die Erforschung und Dokumentation von Kulturdenkmalen und für die fachliche Beratung zu ebendiesen zuständig (Landesportal Sachsen-Anhalt o.J.: o.S.).
Auf Nachfrage zum Schlamm in der Saale berichtet er, dass es nicht viel Schlamm im Hauptkanal der Saale gibt, in den Seitenarmen der Saale wie zum Beispiel dem Mühlgraben gibt es deutlich mehr Schlamm. Er erzählt, dass die Saale punktuell abgebaggert wird und dass durch diese Ausbaggerungen Trichter und Löcher im Untergrund der Saale entstehen. Die Stadt gibt seiner Meinung nach zu wenig Geld für Daten zum Untergrund der Saale aus. Wo das Baggergut entsorgt wird, weiß er nicht. Der Schlamm sei aber auf jeden Fall Sondermüll und Untersuchungen des Schlammes, würden wahrscheinlich zu Tage bringen, dass noch Schwermetalle und Ähnliches im Schlamm vorhanden sind.
Ein Saalespaziergang mit Wolfgang Aldag
Wir verabreden uns mit Wolfgang Aldag zu einem Spaziergang an der Saale. Aldag (Bündnis 90/Die Grünen) ist Mitglied des Landtags von Sachsen-Anhalt, Landschaftsarchitekt und sitzt seit 2014 im Stadtrat von Halle (Saale).
Kann man in der Saale baden? - Ein Besuch auf dem Schiff für Bürgerforscher*innen
Für einen Interviewtermin begeben wir uns zur offenen Bordtür der Make Science Halle, dem Schiff für Bürgerforscher*innen auf der Saale (Science 2 public 2023a: o.S.). Dort treffen wir eine Mitarbeiterin der Bordcrew. Das Forschungsschiff als solches existiert seit 2020 und wird von der Gesellschaft für Wissenschaftskommunikation e.V., kurz Science 2 public, betrieben. Die Wissenschaftsvermittlung als Hauptanliegen wird neben Workshops und Vorträgen an Bord auch durch den wöchentlichen River Check verwirklicht, bei welchem interessierte Bürger*innen Wasserproben entnehmen und analysieren können. Dabei wird den Fragen nachgegangen, ob man in der Saale baden kann und wie sauber das Fließgewässer ist (ebd.: o.S.).
An Bord befindet sich ein eigenes Labor, in welchem das Flusswasser sowohl auf physikalische und chemische Parameter als auch auf Bakterien untersucht wird (Science 2 public 2023b: o.S.). Hierzu liegen Tests auf Nitrat, Nitrit, Phosphat, Ammonium, den pH-Wert und Sauerstoffgehalt der Probe bereit, ebenso wie die Bakterien Escherichia coli und intestinale Enterocokken nachgewiesen können (ebd.: o.S.). Die beiden Letzteren siedeln im menschlichen Darm und liefern einen Hinweis auf Fäkalien im Flusswasser. Auch eine Testung auf Schwermetalle kann an Bord erfolgen.
Die Mitarbeiterin gibt uns einen Überblick über die bisherigen Forschungsergebnisse des River Checks. „Die chemischen Parameter des Wassers belaufen sich im Normbereich. Anhand der Häufigkeit der wirbellosen Organismen und des daraus abgeleiteten Saprobienindexes liegt die festgestellte Gewässergüteklasse meistens zwischen II und III. Trotzdem beobachten wir, dass nach Niederschlagereignissen die Tests auf Bakterien sehr hoch ausfallen.“ Als Grund hierfür wird die Mischwasserkanalisation genannt, welche auch in der Nähe des Schiffes sichtbar ist.
Da die Make Science Halle den Fokus auf das Saalewasser legt, wird der Schlamm nicht beprobt. Alle Tests auf Schwermetalle im Flusswasser waren bisher negativ. „Einmal hatten wir den Schlamm direkt am Forschungsschiff mit Kindern getestet, dabei waren die Schwermetalltests sofort positiv“, meint das Crewmitglied.
Eine Karte auf der Website des Bürgerforschungsprojektes zeigt die Werte einiger entnommenen Proben an, welche nach und nach hochgeladen werden (Science 2 public 2023b: o.S.). Dennoch ist die Crew an Bord noch unsicher im Hinblick auf die Veröffentlichung der Ergebnisse. So die Mitarbeiterin: „Wir wollen den Bürger*innen von Halle auch nicht vermitteln, dass die Wasserqualität gut sei, obwohl es ja Probleme hinsichtlich der Mischwasserkanalisation und der Altlasten im Schlamm gibt.“
Der Wissensstand bei älteren Menschen über die im Saaleschlamm enthaltenen Altlasten sei besonders hoch. „Viele Senior*innen kommen zu uns und erzählen von sich aus vom Schlamm und der ehemaligen ökologischen Belastung der Saale. Vor allem Vorträge wie etwa der von Wolfgang Schuster zu seinen Aktivitäten in der ökologischen Arbeitsgruppe Halle e.V., welche sich für die Wasserqualität der Saale auch schon zu DDR-Zeiten einsetzte, wird von vielen älteren Hallenser*innen besucht“, stellt die Mitarbeiterin fest. Auch die Mischwasserkanalisation sei bei vielen Menschen schon ein Thema, die das Schiff besuchen. Trotzdem sei es schwierig, Menschen so für die Make Science Halle zu gewinnen, weshalb sich neben den Senior*innen und Schulklassen die Anzahl an Familien zur offenen Bordtür in Grenzen hält.
Umweltaktivismus an der Saale - Interview mit Wolfgang Schuster
Unser Interview mit Herrn Schuster findet am Amselgrund in Halle statt. Dort angekommen baut er den Prototyp seiner Ausstellung zu den Aktionen der Ökologischen Arbeitsgruppe Halle auf, bei der er selbst seit den 80ern aktiv ist.
Herr Schuster erzählt uns, dass er an der Saale großgeworden ist und sich seiner Heimat sehr verbunden fühlt. Schon früh beobachtete er die Umweltschäden an der Saale, die durch die Chemieindustrie verursacht worden sind. So berichtet er vom Fenolgeruch und der Braunkohle in der Luft und erzählt uns, dass die Saale 1992 das erste Mal gefroren ist, da zu diesem Zeitpunkt die Chemieindustrie pausiert wurde und die Werke erneuert worden sind. Schuster begann sich daraufhin immer mehr für den Umweltschutz zu interessieren und zu engagieren, auch um „sich von seinen Kindern später nichts vorwerfen zu lassen“.
Schuster forderte zusammen mit der ökologischen Arbeitsgruppe Halle eine saubere Saale. Gemeinsam planten sie unter dem Dach der Kirche Ende der 1980er einige Protestaktionen, deren Umsetzung eine große Öffentlichkeit erreichte. Von Seiten der SED, die seit 1982 Umweltdaten unter Geheimhaltung hielt, erfuhr die Gruppe regelmäßig Repressionen, so wurden sie mit Schusters Worten „wie Schwerverbrecher behandelt“. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab weiterzumachen, denn „Spaß und Kreativität waren unsere Stärke“.
Zum Thema Schlamm berichtet uns Herr Schuster, dass die Schwermetallablagerungen im Schlamm daherkommen, dass im Buna-Werk aus Korbit Gas hergestellt wurde. Das daraus resultierende Nebenprodukt Quecksilber „wurde nach Feierabend zusammengekehrt und in die Saale geleitet“. Er erinnert sich außerdem daran, dass Anfang der 90er Jahre der Schlamm stellenweise „aufgrund der Schifffahrt“ weggebaggert worden ist. Wohin dieser Schlamm gekommen ist, kann er uns nicht beantworten. Jedoch berichtet er, dass es ein paar Tage nach der Abbaggerung „eine Anzeige aus Hamburg gab, da es dort zu erheblichen Wasserverunreinigungen gekommen ist“. Aus heutiger Sicht stellt der Schlamm in Schusters Augen kein großes Problem mehr dar, da er sich über die vergangenen Hochwasser selbst reguliert hat und große Schlammvorkommen nur noch in den Seitenarmen existieren.
Größere Sorgen bereitet ihm jedoch die parallel zur Saale verlaufende Mischwasserkanalisation von Halle, die bei Starkregen in die Saale überläuft. Er erzählt uns, dass „die vom Forschungsschiff nichts von den Stellen wussten, wo eventuell Fäkalien reinlaufen – die haben genau an den Stellen mit den Kindern Proben genommen“. Nachdem Herr Schuster auf die Mitarbeiter*innen vom Forschungsschiff einwirkte, führen diese seit diesem Jahr den River-Check durch. Dabei wird das Saalewasser unter anderem auf Kolibakterien beprobt. Die teilweise schlechten Ergebnisse schickte Schuster an das Gesundheitsministerium mit der Bitte, den Fluss regelmäßig mit öffentlichen Geldern zu untersuchen und Informationen zur Sauberkeit, insbesondere nach Starkregen zur Verfügung zu stellen. Von Seiten der Stadt heißt es jedoch, dass die Saale kein offizielles Badegewässer sei und daher kein Grund bestehe, sie regelmäßig zu beproben. Mit dieser Aussage gibt sich Herr Schuster jedoch nicht zufrieden, so dokumentiert er weiterhin unerlaubte Einleitungen in die Saale und stellt Anfragen und Anträge um dem Ziel einer Neuregelung der Mischwasserkanalisation näher zu kommen.
Wissensvermittlung der Stadt Halle (Saale) bezüglich des Schlamms
Offiziell rät die Stadt Halle vom Baden in der Saale ab. (Quelle: Stadt Halle (Saale) 2023a: o.S.)
Von offizieller Seite der Stadt Halle wird vom Baden in der Saale abgeraten (Stadt Halle (Saale) 2023a: o.S.). Als Grund hierfür sind die fehlenden qualitativen Anforderungen der Saale als Badegewässer aufgeführt. Diese ergeben sich unter anderem aus der Mischwasserkanalisation nach Niederschlagsereignissen, welche eine stark erhöhte Keimbelastung des Flusses hervorruft (ebd.: o.S.).
Eine auf der Website der Stadt Halle verlinkte Stellungnahme des Fachbereiches Gesundheit gibt darüber hinaus detaillierte Hinweise über Verunreinigungen der Saale wie etwa Bakterien und Viren (Stadt Halle (Saale) 2022: 1). Jedoch wird der Saaleschlamm und die darin enthaltenen Altlasten von der Stadt Halle nicht erwähnt. Lediglich ein Dokument zum Hochwasserschutz der Stadt Halle (Stadt Halle (Saale) 2015: o.S.) weist folgende Empfehlung hinsichtlich des Schlamms auf:
“Entfernen Sie möglichst schnell den Schlamm, bevor dieser austrocknet und sich nur noch mühsam entfernen lässt. Diese Arbeiten sollten in Schutzkleidung erfolgen.” (ebd.: o.S.).
Ob dieser Hinweis den Altlasten des Schlammes und einer potenziellen gesundheitlichen Gefährdung durch diesen oder nur aus reiner Vorsicht vor einer äußerlichen Verschmutzung von Textilien gilt, lässt sich aus dem Dokument nicht entnehmen. Auf Anfrage lassen sich Informationen über Altlasten oder schädliche Bodenveränderungen aus dem Altlastenkataster kostenpflichtig abrufen (Stadt Halle (Saale) 2023b: o.S.). Dabei ist allerdings nicht ersichtlich, ob dies auch die Saale und den damit verbundenen Schlamm umfasst. Insgesamt spielt also der Saaleschlamm und die darin enthaltenen Altlasten in der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Halle keine Rolle. Zudem weist der Zugang zu Informationen Barrieren auf.
Recht auf Umweltinformationen
Das deutsche Umweltinformationsgesetz (UIG), welches am 14. Februar 2005 in Kraft getreten ist, stellt den rechtlichen Rahmen für den freien Zugang zu Umweltinformationen auf Bundesebene. Die Länder haben jeweils eigene Umweltinformationsgesetze erlassen, welche sich inhaltlich auf das UIG auf Bundesebene beziehen (Umweltbundesamt 2020: o.S.). Das Gesetz gewährleistet nach § 3 das Recht jeder Person auf freien Zugang zu Umweltinformationen durch informationspflichtige Stellen (§ 3 Abs. 1 UIG) . Informationspflichtige Stellen können neben Behörden auch private Stellen sein, soweit diese nach § 2 des UIG “öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen, die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen”, wie zum Beispiel Entsorgungsunternehmen (§ 2 Abs. 1 UIG und Umweltbundesamt 2020: o.S.). Darüber hinaus legt das UIG nach § 10 fest, dass die gerade genannten Stellen die Öffentlichkeit zusätzlich auch aktiv über die Umwelt unterrichten, dabei handelt es sich um Umweltinformationen, die für behördliche Aufgaben verwendet werden oder über welche diese allgemein verfügen (§ 10 Abs. 1 UIG und Umweltbundesamt 2020: o.S). Umweltinformationen werden hier vor allem als Daten in Bezug auf die Atmosphäre, Gewässer, Böden und allgemeiner, Landschaften und ihrer Wechselwirkungen verstanden (Umweltbundesamt 2020: o.S). Auch Schadstoffeinwirkungen wie Lärm, Abfälle etc. gelten als Umweltinformationen genauso wie Informationen über den Zustand menschlicher Gesundheit (ebd.). Nach dem UIG ist es zwar prinzipiell jeder Person möglich einen Antrag auf Umweltinformationen an den betreffenden Einrichtungen zu stellen, allerdings können bei der Informationsbeschaffung Kosten entstehen (bis zu 500 Euro), welche nach Bereitstellung der Informationen gegebenenfalls von dem*r Antragsteller*in übernommen werden müssen (ebd.). Das Leitmotiv zur Umsetzung des Gesetzes ist laut Umweltbundesamt, das Bürger*innen sich, auf Grundlage der bereitgestellten Informationen, in Verwaltungsverfahren einbringen können, sowie die Handlungen der öffentlichen Verwaltungsstellen kontrollieren können (ebd.). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wer überhaupt Gebrauch von diesem Recht macht und in welchem Umfang? Zudem lassen sich weitere Fragen zu den Möglichkeiten der Nutzung der erhaltenen Daten stellen, sowie zu bestehenden (Verständnis)-barrieren für Nutzer*innen.
Flyer vom Umweltbundesamt zum Umweltinformationsgesetz:
Schlamm und seine Relevanz für das Angeln und Fischen in der Saale
Saalefischerei
Vor den 1950er Jahren gab es Berufsfischerei an der Saale, alte Fischerhäuser gehören bis heute zum Bild des Stadtteils Kröllwitz. Seitdem kam es allerdings durch eine zunehmende Verschmutzung der Saale zu einem großen Fischsterben, welches seinen Höhepunkt erreichte, als die Chemiekonzerne Leuna und Buna entlang der Saale entstanden. Angeln und Fischen in der Saale war vorerst nicht mehr möglich.
Im unten stehenden Artikel von 1958 beschreibt ein Saalefischer seine Wahrnehmungen der Veränderung des Saalezustands.
Artikel "Ein alter Saalefischer klagt an!" von Richard Knote, in: Natur und Heimat - Heft 1 aus dem Jahr 1958 (Anglertreff Thüringen 2016)
Im folgenden Auszug beschreibt Richard Knote das Ausmaß und die Beschaffenheit des Saaleschlamms der 50er Jahre:
"Verschmutzung und Fischsterben gingen unaufhaltsam weiter, und als dann das große Bunawerk hinzukam, war es auch mit dem Fischfang zu Ende. Jetzt sieht das Wasser dunkelbraun aus, hat einen Phenol-, Teer- und Karbolgeruch und auch den entsprechenden Geschmack. Es bringt an ruhigen Strömungsstellen derartige Schlammablagerungen mit sich, daß die Ufer mit Industrieschlamm verkleistert und verschmiert sind. (...) Daß sich große Mengen Schlamm abgelagert haben, ist für jeden erkennbar, sobald ein Dampfer vorüberfährt. Dann sieht man hinter seiner Fahrbahn tausendfache Gasbläschen, die vom Grunde aufsteigen und oftmals in solchen Massen hochkommen, daß sogar direkte Schlamminseln vom Grunde mit losgerissen und an die Oberfläche geschleudert werden."
Gespräch mit einem Angler
Wir sind darauf eingestellt ein kurzes Spontaninterview zu führen, als wir an einem sonnigen Vormittag unter der Woche eine angelnde Person nahe des Saalestrands ansprechen. Beim Angeln muss man Zeit mitbringen und die hat unser Interviewpartner Dirk*. Darum setzen wir uns dazu und leisten ihm Gesellschaft. Aus dem kurzen Spontaninterview wird ein langes Gespräch über die Saale, Fische, das Angeln und den Schlamm.
Dirk sitzt in einem Campingstuhl und erzählt uns, dass er hier seinem “Sport und Hobby” nachgeht. Vor ihm stehen mehrere ausgeworfene Angeln. Bewegt sich eine Angelrute, springt er schnell auf und überprüft, ob ein Fisch angebissen hat.
Mit seinem Fahrrad und dem dazugehörigen Anhänger ist er morgens losgefahren, um den ganzen Tag an der Saale zu verbringen.
Dirk ist ca. 60 Jahre alt und angelt seit 1970. Er erzählt uns er habe das Angeln in die Wiege gelegt bekommen und lernte schon als Kind gemeinsam mit seinen Geschwistern von seinem Großvater viel über die Natur. So sieht er sich heute auch als Umweltschützer und lehrt mittlerweile auch seinen Neffen als Teil der “nächsten Generation” im Angeln an. In der Saale angelt Dirk allerdings erst seit der Wende. Die Verschmutzung der Saale zu DDR-Zeiten machte es unmöglich Fische zu fangen, erklärt er. Er erinnert sich an den Schaum vor den Staudämmen und dass die Saale stark durch die Chemiewerke verschmutzt war. Dirk erinnert sich an eine “Umbettung” des Flussbettes, bei der die Saale in einen künstlich angelegten Flussarm umgeleitet wurde, um so im ursprünglichen Flussbett Sedimente abzutragen. Die Umleitung war kurz vor den Leunawerken, zwischen Weißenfels und Großkorbetha. Er erinnert sich, dass das belastete Material auf eine Sonderdeponie entsorgt wurde, weiß aber den genauen Ort der Entsorgung nicht. Im Stadtgebiet von Halle fanden aber keine Ausbaggerungen zum Zwecke der Dekontamination statt. Dort, ist sich Dirk sicher, hat der Fluss die Verschmutzung durch das Abtragen des Schlammes mit der Strömung und durch die Hochwasser selbst geregelt. Er meint “die Natur hat sich selbst drum gekümmert”. Besonders die Hochwasser haben den Schlamm über das Flussbett hinaus gespült, sodass dieser auf das umliegende Land und die Auenböden geschwemmt wurde. Ab und zu trifft Dirk an der Saale auch auf eine Person vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Elbe aus Magdeburg, die sowohl Wasser, als auch Schlammproben entnimmt. Was genau da erhoben wird, weiß Dirk nicht.
Mittlerweile ist die Wasserqualität wieder richtig gut, findet Dirk. Ein Indikator dafür ist für den Angler das Vorkommen von Bachforellen. Bachforellen benötigen sehr sauberes Wasser, weswegen sie in der Saale lange Zeit nicht mehr aufzufinden waren. Nun fangen Dirk und seine Freunde aber immer öfter eben diese Fischart.
Nur die Mischwasserkanalisation sorgt nach Regenwetter für einen schmutzigen Fluss. Dann werden unbeabsichtigt statt Fischen, Hygieneprodukte geangelt.
Der Fisch wegen dem er heute an der Saale ist, ist der Zander. Dieser benötigt kiesigen Grund und für die Laichablage sind zudem Seegraswiesen essentiell. Auf schlammigem Grund findet man den Fisch nicht. Dort findet man eher Karpfen. Dirks Fischexpertise steht also im direkten Zusammenhang mit dem Schlamm. Er weiß, wo welche Flussbeschaffenheit und damit welche Fische vorzufinden sind.
Der Schlamm, der heute noch zu finden ist, ist für den Angler natürlicher Schlamm. Er beobachtet oft ein Blubbern an der Wasseroberfläche, was durch Fische, die im Schlamm gründeln, entsteht. Die Steinschüttungen der Stadt an den Uferbereichen hält Dirk für negativen Einfluss auf die Fischbestände. Es würde die Flussstrukturen und die Umwelt zerstören.
Während unseres Gesprächs angelt Dirk Gründlinge, diese kleinen am Grund lebenden Fische sind gute Köder für Zander erklärt er. Wir sind auch mit dabei, als ein Aal anbeißt. Stolz zeigt uns Dirk Bilder von den größten Fischen, die er und seine Freunde angelten. Außerdem teilt er seine besten Rezepte. Seinen geräucherten Zander hat sogar Fernsehkoch Steffen Henssler schon probiert. Nur Karpfen werden mit Kuss auf den Kopf wieder in die Saale entlassen. Die schmecken Dirk nicht, da sie in schlammigen Bereichen leben, schmecken sie muffig.
*Name geändert
Schlussbetrachtung
Unser primärer Anspruch aber auch unser Ziel war es nicht umfassende Analysen und Lösungsansätze zu Altlastenproblematiken in der Saale zu entwickeln, sondern die Offenheit in Anlehnung an die Methodik beizubehalten und unser Ergebnis eher als Plattform zu verstehen, die neue Perspektiven aufwirft.
Durch die Komplexität des Themas wurden die Grenzen der Umsetzung immer wieder deutlich. Vor allem, weil die Thematik der Schadstoffe und Altlasten in einer sich in Bewegung befindlichen Umwelt immer wieder neue Fragen aufwerfen. Insgesamt eröffneten sich uns im Verlauf unserer Forschungsarbeit wiederholt neue Themenfelder durch Literatur, Gespräche oder Interviews. Aufgrund der begrenzten zeitlichen Kapazitäten durch das Seminar konnte jedoch nicht allen neuen Fragen und Themen nachgegangen werden..
Allgemein lässt sich erkennen, wie vielseitig nach unserer Definition Wissen über den Schlamm in der Saale sein kann und wie dieses über institutionelles, anerkanntes Wissen hinausgeht. Bestimmte Aspekte über den Schlamm haben für bestimmte Personen (-gruppen) unterschiedliche Relevanz und werden in verschiedenen Formen erfahrbar oder nur in spezifischen Zusammenhängen überhaupt berücksichtigt. Während durch die Gewässerverwaltung vor allem punktuell gemessene Schadstoffkonzentrationen im Hinblick auf die Einhaltung einschlägiger Richtwerte von Relevanz sind, können die Toxine im Schlamm für Angler*innen ganz anders erfahrbar und wichtig werden, durch zum Beispiel den Geschmack der gefangenen Fische und dem Einfluss des Fisches als Nahrung auf die Gesundheit. Die punktuellen Messungen der Schadstoffkonzentrationen im Schlamm von institutioneller Seite, werfen im Hinblick auf die dynamischen Eigenschaften des Flusses und seiner sozialökologischen Umgebung und dem bekannten Remobillisierungspotenzial und der Fluidität von Toxinen, Fragen nach der Notwendigkeit einer Veränderung der Beurteilungsmethoden der Toxizitätsbelastung auf. Die Informationen aus den Zugängen der Kategorie Spezifisches Wissen zeigen, im Vergleich zu unseren Gesprächen im Bereich des Alltagswissens, einen großen Unterschied im Hinblick auf den Umfang der jeweiligen Informationen. Ältere Menschen, die in Halle geboren und aufgewachsen sind, können sich allerdings häufig an die Chemieindustrie und den schlechten Gewässerzustand zu DDR-Zeiten erinnern, ziehen aber selten Verbindungen zu aktuellen Belastungen. Mit Blick auf die öffentliche Verwaltung scheint es so, als läge aktuell ein geringerer Fokus auf Altlasten und dessen Auswirkungen. Zwar werden verpflichtende Daten zu Schadstoffen im Schlamm erhoben, darüber hinaus scheint allerdings keine weitere Auseinandersetzung mit dem Schlamm stattzufinden und auch die Öffentlichkeitskommunikation zu der Thematik findet nach unseren Kenntnissen kaum statt. Auch der vormals umgesetzte Ansatz der Ausbaggerung und Verlagerung des schadstoffbelasteten Schlammes aus der Saale findet aufgrund zu hoher Kosten keine Beachtung mehr. Unsere Ergebnisse können als ein spannender Ausgangspunkt gesehen werden, um sich noch weiter auf die Spuren des Saaleschlammes zu begeben und Forschungen auf dem Gebiet der toxischen Landschaften zu unternehmen.